Von oben herab: Rechts vor links

Nr. 40 –

Stefan Gärtner über eine Konferenz der Vaterländer

Das hat der Verfassungsschutz ja immer schon gewusst: dass ganz links und ganz rechts dasselbe sind; wie ja wirklich manche Linke die Seiten wechseln und Hegel wieder auf den Kopf stellen. Denn ist nicht auch die Rechte dafür, dass «das Volk» herrsche? So kommt, wer will, vom Kapital zu den Kapitalisten, von der Entfremdung zum Fremden, von der Volks- zur Querfront; und statt der freien Entwicklung einer und eines jeden als Bedingung der freien Entwicklung aller kommt zuerst das Kollektiv, und zwar natürlich (sic) das völkische und nicht etwa das, das seine tatsächlichen Interessen kennt und weiss, dass «Emanzipation» kein Wort aus einer (älteren) Frauenzeitschrift ist.

Horst Mahler, früher RAF-Anwalt, jetzt Neonazi, ist diesen Weg gegangen, und auch Joseph Goebbels kam ursprünglich von links und hatte, seine Tagebücher beweisen es, lange seine liebe Not, den Antikommunismus seines Führers zu schlucken; was nur ging (und geht), wenn man aus dem «Volk», statt es als Teil der Dichotomie von Macht und Ohnmacht zu begreifen, eine mythische Horde und Schicksalsgemeinschaft macht, deren Mitglieder aus dieser Tatsache selbst die Würde saugen sollen, die ihnen der alltägliche Kapitalismus vorenthält.

Dass links und rechts wesensverwandt seien, ist die Lüge, die der Mitte so zupasskommt, die aus gut materiellen Gründen noch stets nach rechts neigt (das hatten wir bereits) und ihren latenten Faschismus in die Angst vor den «Extremen» packt; Extreme, die nichts weniger als identisch sind, will das eine Extrem doch das Glück für alle, das andere aber das Unglück dadurch beseitigen, dass man die Unglücklichen totschlägt. Es gibt deshalb auch keinen natürlichen Weg von links nach rechts; wer ihn geht, wechselt nicht einfach die Radikalismen. Radikal kommt von «radix», lat. «Wurzel», und während der Kommunist das Übel mit der Wurzel ausreissen will – dass denen, die die Maschinen bedienen, die Maschinen nicht gehören –, ändert der Faschist bloss den Blickwinkel: Wer eine Fabrik hat, darf sie behalten, und die Maschinistin, der es stinkt, dass für sie nichts oder zu wenig bleibt, soll sich statt über die Eigentumsverhältnisse über Flüchtlingsschmarotzer und «Kopftuchmädchen» (Sarrazin) ärgern und das Herz an die halluzinierte Bluts- oder Wertegemeinschaft der Ungleichen verlieren.

Der jüngste Fall solchen Renegatentums ist der des Jürgen Elsässer, der früher für den «Arbeiterkampf», «Konkret» und das «Neue Deutschland» schrieb und heute als Chefredaktor des Verschwörungstheoretikerblättchens «Compact» auftritt, gern bei Pegida, am liebsten aber auf seinen eigenen «Compact»-Konferenzen, deren nächste – «Für ein Europa der Vaterländer! Gegen Islamisierung und Fremdherrschaft!» – Ende des Monats in den Kölner Satory-Hallen stattgefunden hätte, hätten diese dem Elsässer und seinen Gästen nicht gekündigt, darunter der aussenpolitische Sprecher der FPÖ, irgendwer vom Front National sowie der Walliser Bildungsdirektor und SVP-Vize Oskar Freysinger.

Wie der kurze Weg halt nicht von links nach rechts, sondern von rechts nach ganz rechts führt: von der Volkspartei zur Volks-Partei an die Seite der Völkischen (neuerdings «Identitären»), die sich sicher gern nach Freysingers Reichskriegsflagge erkundigen; der Flagge, die noch der freiheitlichsten Demokratie so viel näher ist als Hammer und Sichel.

Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.