Durch den Monat mit Samira Marti (Teil 2): Wollen Sie Bundesrätin werden?

Nr. 41 –

Die Jungsozialistin Samira Marti über eine Insel im Baselbiet, die Jugend von heute und ihre politischen Ambitionen.

«Ich weiss nicht, wieso andere Personen ihre Vision aufgeben. Ich bin überzeugt davon, dass ich meine Ideen nicht vergessen werde»: Samira Marti auf dem Pfeiferbrunnen in Bern.

WOZ: Samira Marti, letzte Woche sprachen wir über Ihre Arbeit in der Juso und der SP. Was hat Sie dazu gebracht, sich dort zu engagieren?
Samira Marti: Ich bin in einem politisch linken Haushalt aufgewachsen. Mein Vater wurde über die Auseinandersetzung um die Abschaffung der Armee, meine Mutter über das geplante AKW Kaiseraugst politisiert. Meine Eltern haben mir stets vermittelt, dass es wichtig ist, selbst aktiv zu werden und nicht bloss bei Wahlen die Verantwortung an Politiker abzugeben. Ich selbst engagierte mich im Gymnasium Liestal als Klassensprecherin und machte im Jugendrat Baselland meine ersten Erfahrungen in politischen Gremien. Wir organisierten Anlässe, an denen Jugendliche zum Wählen animiert werden sollten.

Zuerst also ein Gremium, das nicht an politische Parteien gebunden war?
Genau. Ich habe es teilweise kaum ausgehalten, den SVP-Politikern, die an unseren Veranstaltungen teilnahmen, die Hand zu schütteln. Die neutrale Rolle hat mir nicht gepasst, ich wollte selbst vorne stehen und meine Meinung sagen.

Und dann sind Sie in die Juso eingetreten?
Ich habe mir über die Jungen Grünen und die Juso Gedanken gemacht. Ich fand aber die inhaltlichen Schwerpunkte der Juso ansprechender, die Juso waren auch klar die aktivere Jungpartei – im Baselland und schweizweit. Zudem fehlte mir bei den Grünen die gesellschaftspolitische Vision.

Gleichzeitig traten Sie auch der SP bei. Wo sehen Sie sich selbst in erster Linie?
Ich definiere mich klar als Jungsozialistin. Mir ist es wichtig, innerhalb der Juso die Positionen der SP zu beeinflussen und Themen zu setzen. So trugen wir wesentlich dazu bei, dass sich die SP gegen das Nachrichtendienstgesetz aussprach. Jetzt lancieren wir aktuell eine Debatte um Wirtschaftsdemokratie mit.

Sozialistische Positionen sind nicht gerade hip im konservativ geprägten Oberbaselbiet. Welche Reaktionen hat Ihr Engagement in Ihrem Heimatort Ziefen hervorgerufen?
Ziefen ist ein ziemlich linkes Dorf, eine Insel in einer konservativen Region. Es gibt eine Gruppe von Leuten, die solide linke Positionen vertreten und etwa Veranstaltungen mit Asylsuchenden organisieren. Das war das Umfeld meiner Eltern. Über die Schule kam ich mit andern Menschen in Kontakt. Eine einschneidende Erfahrung machte ich mit dreizehn Jahren an einer Silvesterfeier, als es kurz vor zwölf plötzlich hiess: «Schmeisst die Linken von der Terrasse!» Alle lachten. Danach schwor ich mir, in einem solchen Moment nie mehr zu schweigen. Das Ereignis zeigte mir, dass gerade die jüngsten Menschen im Dorf die konservativsten sind.

Das stimmt mit aktuellen Studien überein: Die Jugend von heute ist konservativ und weniger wild als früher. Wie ist es dazu gekommen?
Im Vergleich zu damals, als meine Eltern jung waren, leben wir gegenwärtig unter völlig anderen Verhältnissen. Sie wuchsen in einer Zeit des Wachstums auf und erlebten eine Steigerung der Lebensqualität. Die heutige Zeit der Wirtschaftskrise bringt hingegen enorme Verunsicherung, viele junge Menschen haben Angst vor der Zukunft. Da spielen ökologische Krisen eine wichtige Rolle, und auch in den Medien sind Schreckensszenarien ständig präsent. Auf dieser Ebene finde ich es sehr verständlich, dass gerade junge Menschen mehr Sicherheit und einen überschaubaren Rahmen suchen.

Diese Unsicherheit wird von rechten Kräften ausgenützt, etwa indem sie Ängste vor Zuwanderung schüren. Was gibt es darauf für linke Antworten?
Das ist eine riesige Herausforderung. Es gilt, Ängste ernst zu nehmen, denn diese sind real, und es gibt auch hier Globalisierungsverlierer. Schlecht qualifizierte Arbeitskräfte kommen etwa unter Druck, wenn die Personenfreizügigkeit nicht durch ausreichende flankierende Massnahmen geregelt wird. Wenn Linke das nicht anerkennen, kommen sie auch nicht an die betroffenen Menschen heran. Wir müssen aufzeigen, dass der Konservatismus kein Ausweg aus der Krise ist, sondern dass es für die Arbeiterinnen und Arbeiter, für die Umwelt und für die Jugend internationale Lösungen braucht.

Sie investieren momentan viel Zeit und Energie in die politische Arbeit. Streben Sie an, Karriere zu machen, wollen Sie eines Tages Bundesrätin werden?
Nein (lacht). Ich sehe mich nicht als Exekutivmitglied, das in erster Linie damit beschäftigt ist, Kompromisse auszuarbeiten. Ich kann mir aber vorstellen, im Parlament mitzuwirken, und finde es legitim, eine einflussreiche Position zu suchen, um inhaltliche Veränderungen mitzuprägen.

Nun ist es häufig so, dass sich die politischen Standpunkte verwässern, sobald Politikerinnen und Politiker eine staatstragende Rolle einnehmen.
Ich weiss nicht, wieso andere Personen ihre Vision aufgeben. Ich bin noch keine vierzig, aber überzeugt davon, dass ich meine Ideen nicht vergessen werde. Es sollte doch möglich sein, Karriere zu machen und gleichwohl der politischen Haltung treu zu bleiben.

Samira Marti (22) wird von rechts denkenden Menschen in ihrem Heimatdorf Ziefen nicht mehr gegrüsst. Als sie letztes Jahr für den Nationalrat kandidierte, wurde das Plakat an der Ziefener Bushaltestelle mit «Kommunistenhure» und «linke Schlampe» verschmiert.