Fikry El Azzouzi: Vier Männer auf Abwegen
Der belgische Autor Fikry El Azzouzi liefert in seinem Roman «Wir da draussen» ein Sittenbild potenzieller islamistischer Attentäter. Die Unmittelbarkeit ist manchmal schwer auszuhalten.
Willkommen in Waasdorp. In diesem belgischen Kaff, das «tagsüber krank und abends tot» ist, lebt Ayoub. Der in Belgien geborene marokkanische Teenager wurde von seinem Vater auf die Strasse gestellt. Nun hängt er mit seinen Freunden rum, stets mit einem Notizbuch in den Händen, um alles aufzuschreiben, was er erlebt. Denn er ist überzeugt, ein hochbegabter Schriftsteller zu sein: «Noch weisst du es nicht, lieber Leser, aber ich habe ein ausgesprochen interessantes Leben, und Schreiben ist nicht besonders schwer, schon gar nicht für ein Genie wie mich.»
Kevin wird zu Karim
Fikry El Azzouzi erzählt in seinem Roman «Wir da draussen» die Geschichte von vier Freunden aus der Perspektive Ayoubs und in dessen schnoddriger Sprache. Die jungen Männer, die nirgends gebraucht werden, verbringen ihre Zeit damit, auf der Strasse oder im Waschsalon rumzuhängen, Frauen zu belästigen, zu klauen, zu prügeln, zu kiffen, zu koksen – und sich schliesslich zu radikalisieren. Neben Ayoub, den alle Youb nennen, ist dies Karim, der eigentlich Kevin heisst und als Einziger keinen Migrationshintergrund hat. Deshalb nennt ihn Youb auch salopp ein «Weissbrot»: «Karim ist bei uns eine Minderheit, und deshalb übernimmt er die meisten Angewohnheiten von der Mehrheit. Das nennt man Integration.»
Maurice hat eine belgische Mutter und einen Vater aus Côte d’Ivoire. «Er ist ursprünglich aus ihrer Leidenschaft für Partys und Afrikaner entstanden.» Fouad schliesslich ist ein wandelndes Muskelpaket, das sich gerne mitten in der Nacht bis auf die Unterhose auszieht, um auf der Strasse Push-ups zu trainieren. «Noch vor sechs Monaten habe ich Fouad über drei Wochen jeden Tag eine Injektionsnadel mit Anabolika in seinen behaarten Arsch gejagt», so der Erzähler.
Die Freunde wissen nicht, dass Fouad seinen Körper an einen irren belgischen Künstler verkauft hat, der aus ihm ein Kunstprojekt macht. Kurze Zeit nachdem sie es erfahren haben, ist Fouad tot: Er hat sich vor einen Zug geworfen. Dieses Ereignis ist eine Zäsur im Buch und im Leben der drei Übriggebliebenen. Youb und Maurice dröhnen sich mit Drogen zu, während sich der Konvertit Karim immer mehr radikalisiert – bis es so weit kommt, wie es kommen muss.
Gespräche unter Freunden
«Wir da draussen» kam in Belgien schon vor zwei Jahren heraus, scheint jedoch heute noch aktueller als damals: Denn spätestens seit den Anschlägen in Paris im Jahr 2015 gilt Belgien als «Hort von Terroristen». Der 37-jährige Fikry El Azzouzi, der als Kind marokkanischer Eltern in Flandern aufgewachsen ist und heute in Antwerpen lebt, liefert mit seinem Buch eine Art Sittenbild potenzieller islamistischer Attentäter. Der grösste Teil des Romans besteht aus Gesprächen unter den Freunden. Dadurch wird man Teil des Alltags dieser vier jungen Männer auf Abwegen und erhält Einblick in ihre Art zu denken und zu handeln. Dies ist manchmal fast unerträglich.
Gleichzeitig ist diese Unmittelbarkeit die Stärke des Buchs. Da es die Sichtweise Ayoubs einnimmt, gibt es keine psychologisierenden Erklärungen zu seinem Verhalten oder dem seiner Freunde. «Wir da draussen» ist wie ein Schlag mit der Faust in die Magengrube, den man aushält oder nicht.
Fikry El Azzouzi: Wir da draussen. Aus dem Niederländischen von Ilja Braun. Dumont Verlag. Köln 2016. 224 Seiten. 21 Franken