Neues aus der Wissenschaft: Raupe an Raupe bei den Prothesenspielen
Die AlphornbläserInnen spielen vor fast leeren Rängen – und inmitten eines kuriosen Szenarios in der eisfreien Swiss Arena in Kloten: vier parallele Hindernisbahnen, darauf Tische mit Messer und Brot, Büchse und Dosenöffner, dazwischen eine Rampe, zuletzt eine Treppe. Was ein bisschen wie «Spiel ohne Grenzen» wirkt, ist der welterste Cybathlon, eine Art Wettkampf der Prothesen. Jetzt stehen die ersten Piloten – so werden die TeilnehmerInnen genannt – am Start. Gruppiert sind sie nach den Formen ihrer Behinderung und den entsprechenden Prothesen. Sie messen sich in der Alltagstauglichkeit ihrer Prothesen, entwickelt von technisch-medizinischen Hochschulteams aus aller Welt. Und gleich zu Beginn zeigt sich: Die auffälligste Armprothese – sie könnte auch dem Terminator gehören – ist elektronisch und völlig untauglich, wenn es darum geht, eine Büchse zu öffnen oder ein Hemd zuzuknöpfen.
Die Ränge im kalten Stadion füllen sich nur zögerlich, noch immer dominieren die 600 freiwilligen HelferInnen in Schwarz und Neongelb das Bild. Immerhin: Kurz nach elf wurde mit den ersten Schellen gelärmt. Auf dem Parcours sind jetzt Fahrzeuge unterwegs, für die bislang das Wort Rollstuhl gebräuchlich war: via Touchpad gesteuerte Amphibienroller mit Rädern und Raupen, die selbst Treppen überwinden – auch wenn die tollkühne Sachbearbeiterin aus Hongkong beim Aufsetzen oben auf dem Treppenabsatz fast aus dem Stuhl gekippt wird. Der Hightechrollstuhl der ETH Zürich wiederum scheitert schon an der ersten Hürde und tut keinen Wank mehr. Hatte es ETH-Professor Robert Riener, der Initiator der Veranstaltung, nicht bereits an der frühmorgendlichen Pressekonferenz vorhergesagt? «Nicht alles wird funktionieren – aber das ist schon okay, Leute.»
Das fällt vor allem bei den Exoskeletten auf, die Querschnittgelähmte wieder laufen lassen: Wo sich der deutsche Pilot zwar wackelig, aber scheinbar mühelos durch den Parcours hangelt, schiebt sich der Schweizer Schritt um Schritt in Richtung Ziel. Die Zeit ist abgelaufen, er kämpft sich tapfer weiter vorwärts – angefeuert vom Publikum. Die Stimmung ist jetzt am Kochen: Der Rollstuhlfinal steht bevor, mit dabei auch die Kamikazepilotin aus Hongkong. Sie liefert sich ein Raupe-an-Raupe-Rennen mit dem Piloten der Hochschule Rapperswil, der schliesslich um Haaresbreite gewinnt. Er strahlt, sie verdrückt eine Träne. Umarmt werden sie beide, vom eigenen Team und vom frenetischen Applaus des Publikums, das längst zu den Menschen hinter der Technik vorgestossen ist.
Der Cybathlon lässt sich unter www.cybathlon.ethz.ch nachschauen.