Theater: Auf der Suche nach Tamar

Nr. 41 –

Wer ist Tamar? Ist sie tatsächlich blind? Was sucht sie in der Drogenszene? Ist sie reserviert und schweigsam oder eine begnadete Rednerin? Assafs Ferienjob in einem Tierheim, der wesentlich im Aussieben von Katzenkacke bestand, nimmt plötzlich eine ganz andere Dimension an: Eine verloren gegangene Hündin zerrt ihn durch die Strassen Jerusalems – oder quer über die Bühne in der Inszenierung von «Wohin du mich führst» nach dem gleichnamigen Roman des israelischen Schriftstellers David Grossman. Mit der Hündin an der Leine begegnet Assaf Menschen, die ihm von deren Besitzerin Tamar berichten. So fügt sich ein widersprüchliches Bild zusammen, und Assaf kommt den Gründen von Tamars Verschwinden auf die Spur – und den Gefahren, denen sie ausgesetzt ist.

Das Mysteriöse der Erzählung ist von Beginn an fassbar: Die Umrisse der Bühne sind kaum zu erkennen, so viel Rauch liegt in der Luft. Langsam nur zeichnen sich in den Nebelschwaden die Gestalten der fünf jungen SchauspielerInnen ab. Und schon zieht eine erste Choreografie das Theaterpublikum in Bann. Eine Inszenierung ganz im Stil des Jungen Theaters Basel: wenige, aber vielfältig nutzbare Requisiten, voller körperlicher Einsatz des Ensembles.

Wer dabei welche Rolle spielt, ändert im Stück ständig: Mal steht nur ein Assaf auf der Bühne, mal wird die Figur von verschiedenen SchauspielerInnen verkörpert, die den Text in beeindruckender Perfektion gemeinsam sprechen. Gleichwohl ist immer sofort klar, welche Figur agiert. Gerade Szenen, die von Gewalt und Angst geprägt sind, erhalten durch die Verdoppelung eine besondere Intensität. So wird etwa Tamars gewalttätiger Chef immer von drei Personen gleichzeitig gespielt, während sie selbst, vom Chef «Miggeli» genannt, als Einzelfigur besonders klein und schutzlos erscheint.

Dass die Gefühle der Figuren deutlich spürbar werden, ist neben diesem Arrangement der schauspielerischen Leistung zu verdanken. Unter der Regie von Suna Gürler entstand so ein kurzweiliges Stück, das den zentralen Erzählsträngen des Buchs und der sorgfältigen charakterlichen Ausarbeitung der Romanfiguren gerecht wird.

«Wohin du mich führst» in: Basel Junges Theater, Mi–Fr, 19. Oktober bis 3. Dezember 2016, 20 Uhr. www.jungestheaterbasel.ch