Von oben herab: Noie Werte*

Nr. 44 –

Stefan Gärtner über christliche Ecken und Kanten

Es gehört zu den Verlässlichkeiten bürgerlich-demokratischer Politik, dass im Zuge von Wahlkämpfen und Wahlkampfvorbereitungen sog. Wertedebatten vom Zaun gebrochen werden. Denn es geht um die Wählerin, den Wähler, und deren Willen ist, das liegt in der Sache, stets simpler und dümmer, als selbst das Parteiprogramm erlaubt, weshalb Wertedebatten immer rechts von da enden, wo man losgefahren ist.

Die CVP ist zuletzt keine sehr erfolgreiche Partei gewesen. Elf Sitze hat sie bei den jüngeren kantonalen Wahlen verloren, national reicht es nicht einmal zu zwölf Prozent. Da ist es höchste Zeit für eine Wertedebatte, wie sie Parteipräsident Pfister im August lanciert und auf der Delegiertenversammlung in Morschach, Schwyz, jetzt neuerlich verkauft hat, müsse die CVP doch als Partei mit «Ecken und Kanten» wahrgenommen werden und «Themen setzen». Es sind die bekannten. «Jeder muss sich an Recht und Gesetz halten», fasst der «Tages-Anzeiger» zusammen. «Die gesellschaftspolitischen Errungenschaften stehen nicht zur Debatte. Das Gesetz steht über kulturellen Traditionen und religiösen Verhaltensregeln. Alle Menschen in der Schweiz, auch die Zuwanderer, müssen das christliche Wertefundament respektieren. Es ist eine Debatte, die der CVP die dringend benötigte Aufmerksamkeit verschafft.» Die man mit derlei bösem Unsinn halt allemal gewinnt, weil Muselmanen und Negerinnen sich nicht einbilden sollen, sie seien hier zu Hause.

Wirklich kein Buchstabe von dem, was der Pfister da in die Arena warf, ist mehr als nichtswürdig, redundant und suggestiv; genauso hätte er sagen können: «Solange die CVP noch was zu sagen hat, wird die Scharia nicht eingeführt! Wer seine Tochter per Ehrenmord beseitigt, wird nicht mit Verweis auf kulturelle Traditionen und religiöse Verhaltensregeln freigesprochen!» Wie es auch ein böser Trick ist, das Wertefundament, das doch sowieso da ist, zum «christlichen» aufzublasen und es so in aller Scheinheiligkeit schon ein bisschen mehr für die zu reklamieren, deren Gott Gott heisst und nicht irgendwie anders; mal abgesehen davon, dass z. B. die Schweizer Asyl- und Flüchtlingspraxis nun wirklich alles ist, aber nicht im Sinne des Heilands. Was eine Gesellschaft an Wertefundament braucht, das schreibt sie sich in ihre Verfassung, und jegliches Brimborium um einen vermeintlichen Kulturklimawandel zugunsten artfremder Minderheiten ist Demagogie auf Kosten dieser Minderheiten.

Und darum ist die Wertedebatte eine, «die bei der CVP-Basis offenbar gut ankommt. Das zumindest sagt Pfister, und das sagt auch die Generalsekretärin Béatrice Wertli» («Tages-Anzeiger»), was ja auch schon wieder ein guter Witz ist, fast ein besserer noch als die deutsche CSU, die auf ihrem Parteitag einen ähnlich gewirkten Leitantrag verabschiedet hat, sowohl gegen eine vollkommen erfundene «Linksfront» als auch gegen den «politischen Islam». «Böse Vorurteile» sah darin sogleich der Moralbeauftragte der «Süddeutschen Zeitung». «Der Populismus läuft wiehernd durch die 16 Seiten. Die CSU stellt dem Islam den Stuhl vor die Tür.» Und Gerhard Pfister stellt gern mit: «Muslime gehören zur Schweiz – der Islam nicht.»

«Dich will ich loben: Hässliches, / du hast so was Verlässliches» (Robert Gernhardt). Was zu beweisen war.

* … «war eine der ältesten und bekanntesten deutschen Rechtsrock-Bands» (Wikipedia).

Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.