Leonard Cohen (1934–2016): Das Grauen gesehen und gelacht
Ein dunkles Lächeln statt überspannter Rockstarmännlichkeit. Leonard Cohen verführte mit Humor und verabschiedet sich auf seinem letzten Album mit dem Chor der Synagoge von Montreal.
«Ich kenne keine Frau, die Bob Dylan mag», schrieb neulich ein Freund bei Facebook. Umgekehrt gilt: Ich kenne keine Frau, die den kanadischen Singer und Songwriter Leonard Cohen nicht mag. Eine spiegelverkehrte Gleichung, nicht die einzige diesen Herbst. Der eine bekommt den Nobelpreis, der andere veröffentlicht ein letztes Album voller Anspielungen auf sein bevorstehendes Ende, nennt es «You Want It Darker» und stirbt kurz darauf. Ähnlich hatte das David Bowie im Januar vorgemacht, nennen wir es Galgenhumor.
Die Komik, der Humor, das sind Aspekte, die in den Nachrufen und Würdigungen zu kurz kommen – bei Cohen wie bei Dylan. Dasselbe gilt für die Bedeutung des Jüdischseins. Nach einem viel zitierten Bonmot kann man sich ja zu Cohens Liedern prima die Pulsadern aufschneiden. Das können nur Leute behaupten, die kein Ohr haben für die altersweise Ironie, die Cohen seit dem ersten Tag seiner spät gestarteten Gesangskarriere eigen war.
Katholizismus, Buddhismus, LSD
Als Popsänger war er alt geboren, über dreissig, als er anfing, und nicht empfänglich für das vitalistische Gestenrepertoire der Rockmusiker seiner Zeit, ganz zu schweigen von deren Feier des Phallischen. Mit einem hauchzart angedeuteten Grinsen liess er Testosteronblasen platzen, zum Ladies’ Man wurde Cohen mit anderen Mitteln. Seine Stimme wurde immer wieder als Nichtstimme bezeichnet, auch das ein Irrtum. «Mir wurde eine goldene Stimme geschenkt», singt er in «Tower of Song», da klingt ironisch sein Triumph an: Hey, mit so einer Nichtstimme habe ich so viele Menschen verführt.
Auch diese Nicht-Nichtstimme verbindet Cohen mit Dylan. Suzanne Vega erzählt, wie Cohen ihr einmal an einem Hotelpool ein Lied vorgetragen habe. Ein langes Lied, und während Cohens Rezitation hätten sich immer mehr Frauen in Bikinis hinter ihm drapiert. Ob er das gemerkt habe, fragte Vega ihren Freund. Der antwortete, «completely deadpan»: «Es funktioniert jedes Mal.» «Deadpan», dieses unübersetzbare Wort trifft Cohens Komik. «Todernst, Witzeln, ohne zu lachen», schlägt das Wörterbuch vor, aber Cohen witzelt nicht. Sein Humor kommt von einem dunklen Ort, er hat das Grauen gesehen und gelernt, darüber zu lachen. «Alles Mögliche, Katholizismus, Buddhismus, LSD, ich bin für alles, was funktioniert», hat er mal gesagt.
Momente bizarrer Schönheit
1977 trifft Leonard Cohen den damals schon ziemlich durchgedrehten Phil Spector, der als Produzent für «Death of a Ladies’ Man» auserkoren wurde. Kurz bevor Spector als Mörder abgeführt wurde, kriegten sie eine Platte fertig, die vielen als Tiefpunkt in Cohens Schaffen gilt, noch so ein Quatsch. Im Clinch der beiden Superegos verliert Cohen ein Stück von der Kontrolle, die ihm ansonsten nie entgleitet. Er lässt sich gehen, was zu Momenten bizarrer Schönheit führt. Und zu seinem albernsten Song, dem wunderbaren «Don’t Go Home with Your Hard-On» mit seinen Mardi-Gras-Bläsern: «Geh nicht heim mit deinem Steifen», grölt der sensible Leonard, seine Fans sind irritiert. «Wir sind hässlich, aber wir haben die Musik», noch so eine todernste Zeile, die zum Lachen ist, wenn Cohen sie singt. Aber auch fies. Sie ist das Leitmotiv des Songs «Chelsea Hotel No. 2», wo Cohen einen Blowjob bekommt: «Sie bläst mir einen auf dem ungemachten Bett, während unten auf der Strasse die Limousinen warten.»
Später bereut Cohen, dass er ausgeplaudert hat, mit wem er zusammen war in dieser Nacht, für wen da gilt: «Wir sind hässlich, aber wir haben die Musik». Es war Janis Joplin, die im Gegensatz zu Cohen ihr kurzes Leben lang immer wieder als Schlampe, als hässlich, als unsexy gedemütigt wurde. Während Dylans Misogynie oft offen zutage tritt, scheint Cohen manchmal trunken von der eigenen Wirkung. «Wir sind hässlich, aber wir haben die Musik» ist nicht nur eine kokette Songzeile, es ist auch der Titel eines aktuellen Sammelbands von Jonas Engelmann: «Eine ungewöhnliche Spurensuche in Sachen jüdischer Erfahrung und Subkultur».
Löschen wir die Flamme
Bei keinem Popstar dieser Grössenordnung spielt das Jüdischsein eine so grosse Rolle wie bei Leonard Cohen, auch und besonders auf seinem letzten Album. Es geht los mit einem Männerchor unter der Leitung von Gideon Zelermyer, Kantor der Synagoge in Montreal, wo Cohen aufwuchs. Sein eigener Grossvater hatte die Synagoge gebaut. «Ihr wollt es dunkler?», fragt die Grabesstimme. Okay, dann löschen wir die Flamme. Und als wäre das nicht schon dunkel genug, meldet der Sänger nach zwei Minuten seinem Herrn: «Hineni Hineni, I’m ready my Lord.» «Hineni» ist hebräisch und heisst auf Deutsch «Hier bin ich». Damit erklärt sich Abraham im Alten Testament bereit, seinen Sohn Isaak zu opfern, wie es Gott von ihm verlangt.
Immer wieder greift Cohen jüdische Motive auf, allerdings werde das gerade in Deutschland gerne ausgeblendet, sagt Caspar Battegay vom Zentrum für Jüdische Studien der Universität Basel. «In Europa tritt er anders auf als in Israel. So hat er 2009 bei einem Konzert in Tel Aviv einen hebräischen Segensspruch gebracht, das Publikum antwortet mit Amen, was zu seinem Namen Cohen, also Hohepriester, passt. Vor einem jüdischen Publikum sieht er sich als eine Art Poppriester.» Jetzt ist der Priester irgendwo da oben, im Tower of Song, und plaudert mit Hank Williams.