Proteste in Südkorea: Präsidentin im bizarren Skandalstrudel

Nr. 46 –

Seit bald vier Jahren produziert Südkoreas Machtzirkel eine beispiellose Aneinanderreihung von Staatsaffären. Ob nach den jüngsten Enthüllungen endlich eine Aufarbeitung stattfindet, ist aber ungewiss.

Bei ihrer Vereidigung als Präsidentin im Frühjahr 2013 hatte Park Geun Hye von der konservativen Saenuri-Partei versprochen, Südkorea in eine neue Ära der Hoffnung und Zufriedenheit zu führen. Welch eine Ironie, dass am letzten Samstag in der Hauptstadt Seoul Hunderttausende DemonstrantInnen ihren Rücktritt forderten. Es war die grösste Massenkundgebung in Südkorea seit den Protesten gegen die Diktatur Ende der achtziger Jahre.

Seit Wochen steht Park wegen eines Korruptionsskandals unter massivem Druck. Ihre enge Vertraute Choi Soon Sil soll unter Parks Mitwirken ihre Machtnähe missbraucht haben, um Geld von südkoreanischen Unternehmen zu erpressen. Zudem hatte Choi Zugriff auf geheime Regierungsdokumente und nahm hinter den Kulissen Einfluss auf die Regierungsarbeit und die Personalentscheide der Präsidentin, obwohl sie kein offizielles Amt bekleidet.

Erinnerungen an die Diktatur

Choi ist mittlerweile wegen Verdacht auf Bestechung und Machtmissbrauch in Haft. Und täglich werden empörende Details publik, die Chois Einfluss auf Park verdeutlichen. Demnach hatte sie freien Zugang zum Blauen Haus, Amtssitz und Residenz des Staatsoberhaupts. Und sie liess Anweisungen über die drei Präsidialsekretäre direkt an die Präsidentin weiterleiten. Mitschnitte entsprechender Telefongespräche liegen der Staatsanwaltschaft vor.

KritikerInnen prophezeiten schon bei Parks Wahlsieg, dass sie demokratische Werte mit Füssen treten und autokratisch wie ihr Vater, der 1979 getötete Diktator Park Chung Hee, regieren werde. Bereits ihre Wahl wurde von einem Manipulationsskandal überschattet: Der Geheimdienst und eine Cybereinheit des Militärs hatten in den sozialen Medien eine Schmutzkampagne gegen ihren Kontrahenten Moon Jae In lanciert. Seither bestätigten zahlreiche Beispiele die Befürchtungen: die Einführung von Schulbüchern, in denen die Diktatur von Parks Vater beschönigt wird; die Auflösung der linken Partei UPP, die fünf Parlamentssitze innehatte; die Anfertigung einer schwarzen Liste mit Namen regierungskritischer KünstlerInnen; vom Geheimdienst gefälschte Dokumente über einen angeblichen nordkoreanischen Geheimagenten. All das weckt Erinnerungen an die Diktaturzeit von Parks Vater.

Als wichtigste Zäsur nimmt die Öffentlichkeit aber noch immer das Sewol-Schiffsunglück vom 16. April 2014 wahr. 304 Menschen kamen damals vor der südkoreanischen Küste ums Leben – 250 davon waren SchülerInnen im Teenageralter. Seither steht Park unter anhaltendem Beschuss. Denn laut ExpertInnen hätten die Opfer möglicherweise gerettet werden können, wenn das Krisenmanagement der Regierung nicht völlig versagt hätte. Die Präsidentin selbst war zur Zeit des Unglücks stundenlang unauffindbar. Bald verbreitete sich das Gerücht, sie habe sich in dieser Zeit mit ihrem damaligen Berater Jung Yoon Hoe zurückgezogen, mit dem sie eine Affäre gehabt haben soll.

Dieses Gerücht weitete sich Ende 2014 zu einem öffentlichen Verdacht aus, wonach Jung die drei Präsidialsekretäre der Präsidentin befehlige und damit der eigentliche Machthaber im Regierungsgefüge sei. Entsprechende Ermittlungen wurden aber eingestellt – mutmasslich unter Druck des Blauen Hauses. Gemäss einem Bericht der Zeitung «Dong-a Ilbo» fiel der Name Chois bereits im Rahmen dieser Ermittlungen; sie soll als Drahtzieherin im Hintergrund gewirkt haben.

Befangene Justiz

Angesichts der ungeheuerlichen Dimensionen des aktuellen Korruptionsskandals verwundert es, dass die Einzelheiten erst jetzt an die Öffentlichkeit dringen. Schliesslich sind darin Wirtschaft, Politik und Verwaltung verwickelt. Und seit Jahrzehnten ist es ein offenes Geheimnis, dass sich Chois Vater – ein dubioser Sektenführer – schamlos an diversen Stiftungen bereicherte, deren Vorsitz die jetzige Präsidentin innehatte. Viele Fragen sind noch offen: zur Rolle der regierenden Saenuri-Partei; zur Komplizenschaft ranghoher PolitikerInnen; zum Mitspielen der einflussreichen Medien; zur Begünstigung einzelner Unternehmen; zu umstrittenen Personal- und Regierungsentscheiden. Die Staatsanwaltschaft ist gefordert.

Nur stellt sich die Frage, ob die Staatsanwaltschaft den Fall zu Ende bringen kann und will. Denn sowohl der Justizminister als auch der Generalstaatsanwalt wurden von der Präsidentin selbst ernannt. Park ist denn auch als Zeugin geladen – aber nicht als Tatverdächtige. So fordert die Bevölkerung weiterhin lautstark die Absetzung und Bestrafung der Präsidentin. Es scheint, dass die Proteste nicht abflauen werden, bevor diese Forderungen erfüllt sind.