Standpunkt von Marcos Buser: Endlager für die Ewigkeit: Ein finnischer Traum

Nr. 49 –

Weil jeder der Erste sein will, werden Endlagerprojekte für hochaktive Abfälle im Eiltempo vorangetrieben – zulasten der Sicherheit. Das ist auch im finnischen Olkiluoto nicht anders.

Marcos Buser. Bild: Dennis Yulov

Am 25. November 2016 informierte die finnische Sicherheitsbehörde Stuk – das Pendant unseres Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorats (Ensi) – die Öffentlichkeit über ihren Entscheid, grünes Licht für den Bau des Tiefenlagers für abgebrannte Brennelemente am Standort Olkiluoto zu geben. Prompt – weder die Nagra noch das Ensi noch das Bundesamt für Energie hatten sich dazu geäussert – folgte schon am 1. Dezember die Medienmitteilung des Nuklearforums Schweiz, das die Bewilligung für den Bau dieses Tiefenlagers für hochaktive Abfälle feierte. Die Atomkraft-PR lief wieder auf vollen Touren. Wie seit Jahrzehnten. Dabei gibt es eigentlich gar nichts zu feiern, wie ein Blick in die Vergangenheit zeigt.

Denn der Jubel ist, wie von jeher, verfrüht. Die Bilanz der bisherigen Endlagerungspläne radioaktiver Abfälle ist ernüchternd. Kein Endlagerprojekt weltweit hat die Hürde der erforderlichen Sicherheit bislang geschafft. Die US-Projekte für hochradioaktive Abfälle scheiterten an der Geologie: das in Lyons, Kansas, in einem ausgedienten Salzbergwerk oder das in Savannah River Site, South Carolina, im kristallinen Untergrund unter der Atomfabrik und später auch das Projekt im Yucca Mountain, Nevada, im vulkanischen Tuff.

Weltweit Projektleichen

In Deutschland, im ehemaligen Versuchsendlager Asse für schwach- und mittelaktive Abfälle, rieselt das Grundwasser ins alte Bergwerk: 12 000 Liter pro Tag, seit Jahrzehnten. Die Sanierungskosten werden heute auf rund zehn Milliarden Euro veranschlagt. Das geht wie immer zulasten der SteuerzahlerInnen und wurde bei den deutschen Atomruinen wie Kalkar, Hamm-Uentrop oder Wackersdorf schon vorexerziert. Ennet der ehemaligen ostdeutschen Grenze muss die Bundesregierung Milliarden in das zweite havarierte Endlager Morsleben pumpen, um dieses zu stützen und zu verschliessen.

Unter weiteren Projektleichen weltweit findet sich auch die Waste Isolation Pilot Plant (WIPP) in New Mexico, in der im Februar 2014 ein Fass mit plutoniumhaltigen Abfällen hochging und ein Drittel der Anlage radiologisch verseuchte. Grund: Die Zulieferbetriebe hatten die Rezeptur für die Verpackung der Abfälle geändert und anstatt mineralischer organische Katzenstreu verwendet, die im Fass reagierte und explodierte. Seither ist es in der Nukleargemeinde um dieses «Vorzeigeprojekt» still geworden. Die Anlage steht voraussichtlich bis 2020 still. Mindestens. Die Sanierungskosten dürften zwei Milliarden US-Dollar übersteigen. Kein gutes Zeugnis für dieses «Leuchtturmobjekt». Aber auch nicht für Projektverantwortliche und Aufsicht, und schon gar nicht für die «Endlagergemeinde», die jahrelang unkritisch in die Loblieder einstimmte.

Dessen ungeachtet werden die wenigen noch verbleibenden Endlagerprojekte für hochaktive Abfälle im Eiltempo vorangetrieben. Man will einfach der Erste sein. Das ist irgendwie begreiflich, nach siebzig Jahren Misserfolg. Aber waren nicht gerade die forcierten Umsetzungsversuche auch ein wichtiger Grund für die Projektierungsfehler in der Vergangenheit?

Das finnische Vorgehen weckt alte Befürchtungen: Das Umsetzungs- und Einlagerungskonzept ist unausgereift, allen Beteuerungen der Projektverantwortlichen zum Trotz. Das natürlich geklüftete kristalline Gestein wird durch den Sprengvortrieb noch zusätzlich gestört und geschwächt, die Zirkulation von Grundwasser dadurch erleichtert. Aber im finnischen Konzept spielt die Geologie ohnehin nur die dritte Rolle. Die erste spielt der kupferbezogene Behälter, in den die abgebrannten Brennelemente dereinst hineingeschoben werden sollen. Die zweite ein quellendes Tongestein, Bentonit, das die Behälter umschliesst und bei Wasserzufluss aufgehen und aushärten sollte. Nur bleiben bei beiden Massnahmen massgebende Zweifel an der Langzeitdichtheit und -wirkung bestehen. Der Sicherheitsnachweis des Endlagers ist nicht über einen grossen Berg papierener Expertisen hinausgekommen. Den experimentellen Beweis, dass dieses Konzept tatsächlich funktionieren könnte, bleiben die Projektverantwortlichen schuldig. Und einmal mehr stehen wir vor der gleichen Situation, wie wir sie aus gescheiterten Projekten schon kennen.

Ein erschreckendes Fazit

Statt endlich eine Sicherheitskultur in den Projekten zu installieren, die diesen Namen verdient, wird auch in Finnland einmal mehr ein theoretisches Konzept direkt umgesetzt. Statt kritisch zu hinterfragen, zu prüfen und zu testen, werden technische Vorstellungen durchgeboxt. Statt sich Zeit für die Abklärungen zu geben, ist Eile angesagt. Die rosa Brille, durch die die Verantwortlichen ihre Projekte betrachten, dient dazu, die Öffentlichkeit zu beruhigen. Die PR-Agenturen streichen dazu die Geigen und spielen die Fanfaren.

Dass ein solchermassen aufgegleistes Konzert nicht gut enden kann, lassen die bisherigen Projektleichen im Endlagerbusiness erwarten. Und einmal mehr versagt das, was wir am meisten bräuchten: verantwortliches Handeln. Die Atomindustrie wird dies wohl nie lernen.

Marcos Buser (67) ist Geologe und war Mitglied der Kommission für nukleare Sicherheit, die den Bund in Atomfragen berät.