Die Nagra und der Atommüll: «Das ganze Verfahren ist unehrlich»

Nr. 13 –

Eignen sich der Bözberg und das Zürcher Weinland als Endlager für radioaktive Abfälle? Der Experte Marcos Buser übt scharfe Kritik am Auswahlverfahren der Behörden.

Geologe Marcos Buser: «Es kann nicht sein, dass jene, die das Endlager für radioaktive Abfälle bauen müssen, selber definieren, wie ihr Sicherheitssystem auszusehen hat. Foto: Dennis Yulov

Die Nationale Genossenschaft für die Entsorgung radioaktiver Abfälle (Nagra) sucht seit über vierzig Jahren nach einem Endlager für radioaktive Abfälle. Im Januar gab sie bekannt, dass der Bözberg im Aargau und das Zürcher Weinland als mögliche Standorte ausgewählt worden waren. Die anderen vier Standorte in Schaffhausen, Nidwalden, Solothurn und Zürich will die Nagra nicht mehr weiterverfolgen.

Marcos Buser, der sich als Geologe seit Jahrzehnten mit der Thematik beschäftigt, kritisiert den Entscheid und wirft den zuständigen Behörden fachliche Inkompetenz vor. Zusammen mit dem emeritierten Geologieprofessor Walter Wildi hat er in diesen Tagen den Blog nuclearwaste.info gestartet.

WOZ: Herr Buser, Sie kritisieren in einem Ihrer ersten Blogeinträge, dass die Nagra nur noch zwei Standorte verfolgt: Es könne sein, «dass keiner der beiden den Sicherheitsanforderungen an ein solches Lager entspricht. Und dann?» Eine Antwort geben Sie aber nicht.
Marcos Buser: Die Antwort kommt schon bald ausführlich auf unserem Blog. Aber kurz vorweg: Niemand weiss, was dann wäre. Die Nagra hat keinen Plan B, die Schweiz käme an denselben Punkt wie die USA. Die US-Regierung wollte in Yucca Mountain in Nevada ein Endlager bauen und hat viel Geld investiert. 2011 drehte dann die Regierung von Barack Obama den Geldhahn zu, weil es einfach ein schlechtes Projekt und politisch nicht durchzusetzen war. Bis heute existiert kein Alternativprojekt.

Was will man dann in den USA langfristig mit dem radioaktiven Müll tun?
Man richtet sich ein auf das sogenannte Langzeithüten, das «longterm» oder «rolling stewardship». Das heisst, dass der Abfall über lange Zeit an der Oberfläche gelagert wird. Da die Behälter nach sechzig Jahren möglicherweise marode sind, wird man den Müll regelmässig umpacken müssen. Diese Strategie des bewussten Hinausschiebens ist dramatisch gefährlich.

Zurück zur Schweiz: Die Nagra hat jetzt die beiden Standorte Bözberg und Zürcher Weinland auserkoren. Was ist nicht gut daran?
Beide Standorte haben ihre Nachteile. Unter der Tonschicht, in die man das Lager hineinbauen möchte, hat es im Bözberg einen Permokarbontrog, der Tausende Meter dick ist. Da ist Kohle drin, die die Menschen vielleicht einmal abbauen wollen.

Zudem gibt es in dieser Region viele Thermalwässer, die von weit unten kommen. Das bedeutet: Es gibt Störungszonen, die den Opalinuston queren und wasserführend sind. Im Übrigen weist das Gebiet geothermische Anomalien auf. Der Untergrund ist überdurchschnittlich warm. Das Gebiet könnte also geeignet sein, um Geothermie zu nutzen. An einem Ort, der ein potenziell wichtiges Rohstoffreservoir ist, darf man kein Endlager bauen.

Steht das Weinland geologisch besser da?
Auch da gibt es Probleme. Einmal auch der erwähnte Permokarbontrog und vor allem die Eiszeitrinnen, also die Täler, die in der Eiszeit ausgehobelt wurden. Grosse Gletscher könnten theoretisch auch ein Endlager freilegen. Abgesehen davon ist interessant, dass die Nagra mit dem Weinland und dem Bözberg wieder in denselben Gegenden gelandet ist, die damals beim Kristallin-Projekt der Nagra als einzige Gebiete in der Schweiz überhaupt noch für ein Endlager möglich schienen. 35 Jahre Suche für über 1,2 Milliarden Franken, um auf die gleichen Standorte zu kommen: Die Performance ist miserabel.

Es geht aber eben auch heute nicht primär um Endlager, sondern um die Laufzeitverlängerung der AKWs bis auf hundert Jahre, darum muss auf Biegen und Brechen ein Standort her. Ansonsten gibt es künftig keine Betriebsbewilligungen. Und das ist das Unehrliche am Sachplanverfahren: Es stehen andere Interessen im Hintergrund. Mit unabhängiger, wissenschaftlicher Arbeit hat das wenig zu tun.

Ein harter Vorwurf.
Diese Kritik ist nachprüfbar: Das Sachplankonzept – also das Konzept, wie man zu einem Lagerstandort kommen will – wurde von der Nagra selber geschrieben. Niemand hat das damals gemerkt oder wollte es merken. Dennoch ist es so. Man stelle sich vor, jeder könnte das Steuersystem und die Steuersätze selber festlegen, und der Kommissär würde gelegentlich eingeladen, die Steuererklärung abzunicken.

Es kann doch nicht sein, dass jene, die das Lager bauen müssen, selber definieren, wie ihr Sicherheitssystem auszusehen hat und wie dieses kontrolliert werden soll. Da drin steckt eine grundlegende Schwäche des Verfahrens.

Obliegt die Kontrolle nicht dem BFE, dem Bundesamt für Energie, und dem Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorat Ensi?
(Lacht) Schön wäre es. Dem BFE fehlt dazu die Sachkompetenz. Es organisiert den Mitwirkungsprozess – also die Frage, wie die Leute in den betroffenen Regionen mitreden können, obwohl sie am Ende kein Vetorecht haben. In technischen Fragen hat das BFE aber nicht das erforderliche Wissen, um die Nagra führen zu können. Beim Ensi ist es leider nicht viel anders. Die Grundausbildung der Leute ist zwar da, die Praxiserfahrung und die strategische Führung sind aber ungenügend.

BFE wie Ensi sind mit der Nagra quasi immer einer Meinung. Ist das nicht seltsam? Das Vertrauen in dieses Trio bröckelt darum laufend. Und der Ton verschärft sich, wie jüngst bei der Traktorendemo der Bauern im Zürcher Weinland. Der klassische links-grüne Widerstand bekommt bäuerlichen Sukkurs.

Marcos Buser (66) ist Geologe und war Mitglied der Kommission für nukleare Sicherheit, die den Bund in Atomfragen berät.