Von oben herab: Ein Tipp

Nr. 50 –

Stefan Gärtner über die Logik hinter dem Jackpot

Da dies ja meine Kolumne ist und ich im Wesentlichen machen kann, was ich will, an dieser Stelle vielleicht einmal ein offener Brief: Liebe Leserinnen und Leser! Dass ihr jetzt alle die Kioske gestürmt habt, weil im Jackpot von Swisslos 59 Millionen Franken lagen, war Quatsch. Glaubt es mir. Denn erstens macht es keinen Unterschied, ob ihr nun zehn Franken nicht gewinnt oder 59 Millionen oder eine Milliarde; und zweitens wollt ihr 59 Millionen Franken nicht im Ernst gewinnen.

Das ist nämlich zu viel. Kein vernünftiger Mensch braucht 59 Millionen Franken, und die Geschichten unglücklicher, verarmter, gehetzter deutscher Lottokönige («Lotto-Lothar») sind Legion. Selbst wenn ihr keine Lust mehr hättet zu arbeiten – wobei das Umfragen zufolge auf die wenigsten zutrifft, wir hatten das hier neulich mal –, würden, wenn wir zwei Prozent Rendite als immer noch möglich veranschlagen und eine deutsche Kapitalertragssteuer von 25 Prozent ansetzen, zehn Millionen reichen, grosszügig gerechnet. Für den Rest müsstet ihr dann Jachten kaufen oder Modellkleider, und dann wäre immer noch so viel über, dass ihr als Linke um den Schlaf gebracht wärt.

Freilich würdet ihr spenden; aber an wen? Und wie viel genau? Oder doch lieber eine Stiftung gründen? Ihr könntet die WOZ kaufen und endlich diesen aufdringlichen Deutschen von der letzten Seite werfen, aber erstens ist die WOZ, ich hoffe, nicht käuflich und zweitens nicht teuer genug. Es bliebe immer noch genügend Zaster übrig, und das ist dann kein Spass mehr; und da haben wir noch nicht über die systemische oder sogar systemallegorische Komponente solcher monströsen Jackpots, ja des Jackpotsystems überhaupt gesprochen.

In seinem Buch über den «flexiblen Menschen», also das neoliberale Opfer, hat der US-amerikanische Soziologe Richard Sennett den unschuldigen Satz geschrieben: «Der Markt, auf dem der Gewinner alles bekommt, wird von einer Konkurrenz beherrscht, die eine grosse Zahl von Verlierern erzwingt», und da sind wir natürlich dagegen, aber wenn es irgendwo einen Jackpot hat, der eine idiotisch riesige Summe allenfalls zufällig auf mehrere Köpfe verteilt, statt dass man den Höchstgewinn deckelte und die unteren Ränge bediente – merkt ihr was? –, da wollen wir plötzlich dabei sein. Und rennen los wie nicht gescheit und bestätigen, dass die unsolidarische Idee vom Gewinnmaximieren und Nichtverteilen eigentlich sehr gut ist und dass die Konservativen recht haben, wenn sie scheinheilig achselzuckend auf die menschliche Natur zeigen und dann eben auch nichts ändern können noch freilich auch nicht wollen.

«Gier ist gut», sprach Gordon Gekko einst. Wer jetzt den Kopf verliert, gibt ihm recht: «Die Leute haben sich in den vergangenen Jahren bei den Jackpots an grosse Zahlen gewöhnt. Während früher ein 10-Millionen-Glückstopf bei Swisslos einen Hype auslöste, braucht es heute dafür 30 Millionen Franken im Jackpot. Bei Euromillions gibt es erst ab 70 oder 80 Millionen Franken einen sprunghaften Anstieg der Einsätze. Vorher spielen vor allem die Stammspieler und die Einsätze steigen nur langsam an», zitiert blick.ch den Sprecher von Swisslos, und auch wenn ich nicht streng sein will und mich für alle freue, die ihrer Geldsorgen überhoben sind, gelte doch das alte Wort, man möge sich von der eigenen Ohnmacht nicht dumm machen lassen; die ein Jackpot halt eher spiegelt als aus der Welt schafft.

Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.