Von oben herab: Zweckdienlicher Hinweis

Nr. 37 –

Stefan Gärtner über einen Halbmond im Alpstein

Als ehemaliger Redaktor des Satiremagazins «Titanic» weiss ich eines genau und gebe es gern noch einmal schriftlich: Die Provokation als solche war nie, ist nie und wird nie der Zweck eines Witzes sein. Allfällige Aufregungen, wie meinetwegen über einen türkischen Präsidenten, dem schlaff eine Knoblauchwurst aus dem Hosenladen hängt und der sich deshalb die (aufrichtig) mitleidige Titelzeile gefallen lassen muss: «Jetzt putscht auch noch sein Penis!», werden zwar gern in Kauf genommen, sind aber niemals der erste (oder gar einzige) Grund für die satirische Bemühung. Denn erstens macht Kunst, ob komisch oder nicht, keine Freude, wenn man die Absicht merkt, dann ist man nämlich verstimmt; und zweitens ist «Titanic» ein Satire- und kein Provokationsmagazin. Satire und Komik können Kunst sein, eine Provokation stimuliert bloss einen Reflex. Eine künstlerische Provokation, die zuerst Provokation sein will, ist Kitsch, sogar der Inbegriff davon.

Gustave Courbets Gemälde «Der Ursprung der Welt», das einen nackten weiblichen Unterleib zeigt, war 1866 ein Skandal, hatte (und hat) aber freilich einen Doppelboden: Indem es das Genital aus dem Akt gewissermassen herausvergrössert, kommt es dem (männlichen) Blick ja lediglich zuvor; es desavouiert ihn. (Es gibt sicher noch viele andere Interpretationen, aber auch das ist ja Kunst: dass sie offen ist.)

150 Jahre später hat der Innerrhoder Künstler Christian Meier mit der Installation eines drei Meter hohen beleuchteten Halbmonds auf dem Appenzeller Gipfel der Freiheit gleichfalls «ein grosses Medienecho ausgelöst» (tagblatt.ch), und damit ist der Plan vollauf erfüllt, wie Meier im Interview mit dem «Tagblatt» gern mitteilt: «Natürlich wollte ich mit dem ganzen Spass provozieren. Es geht aber darüber hinaus. Die Kunstaktion soll optisch wie auch inhaltlich ein Denkanstoss sein. – Der Mond in der wunderschönen Appenzeller Landschaft stösst den Betrachter vor den Kopf. Ich mag Dinge, die beim Betrachter anecken und nicht dem Mainstream entsprechen. – Wenn es optimal läuft, habe ich mit meiner Aktion eine Debatte losgetreten. – Ich bin Atheist. Ich habe mich an den unzähligen Gipfelkreuzen im Alpstein gestört und wollte mit dem Halbmond ein Gegengewicht schaffen. Gleichzeitig sieht der drei Meter grosse Halbmond einfach fantastisch aus.»

Womit wir dann doch noch bei so was wie Kunst wären, deren vornehmste Aufgabe es halt ist, fantastisch auszusehen. Eine redundant zerplapperte «Kunstaktion» ist dagegen das schlichte (sic!) Gegenteil von Kunst, weil das Gegenteil von Kunst bloss gut gemeint ist – «Mein Gott, ist das beziehungsreich, ich glaub’, ich übergeb’ mich gleich» (Robert Gernhardt) – und eine Kunstaktion, die ein Denkanstoss sein will, ihren Erfolg darin sehen muss, dass sie ihren absolut erwartbaren (Mainstream-)Effekt auch wirklich zeitigt: «‹Ich begreife nicht, welchen Zweck dieser drei Meter hohe beleuchtbare Halbmond erfüllen soll, und ich verstehe auch nicht, wie man einen Berg derart entstellen kann›, nervt sich ein Berggänger, der die Installation bei einer Tour entdeckt hatte, auf der Wanderplattform hikr.org. Andere Bergler werden noch deutlicher: ‹Bodenlose Frechheit› oder ‹Sauerei› kommentieren sie die Aktion» (blick.ch).

Die, hätte es der Meier beim blossen Artefakt belassen, sogar gelungen wäre. Doch entheiligt der Zweck mitunter die Mittel.

Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.