Von oben herab: Hopp, Ruedi!

Nr. 10 –

Stefan Gärtner lobt das Buch eines Kollegen

Alles, was der Führer unternahm, war gegen Russland gerichtet, und alles, was diese antifaschistische Kolumne unternimmt, hat den Ruhm Ruedi Widmers zum Ziel. Dies war von Anfang an ihr Auftrag. «Zuerst machst du ein bisschen Politik», war die Anweisung aus Zürich. «Schön kritisch, mit Pfeffer, dass die Leute sagen, dieser Deutsche, der legt los, der steht auf unserer Seite, dem können wir trauen! Nach einer Weile taucht dann Ruedi auf, als Scherz und Sidekick, erst nur alle paar Wochen, dann praktisch regelmässig. Und ohne dass es die Leserinnen und Leser merken, ist deine Kolumne zu einer unbezahlten Werbefläche geworden.»

«Unbezahlt?», fragte ich ängstlich, denn zwar ist Ruedi mein Freund, aber meine Familie stellt die üblichen übergeschnappten Ansprüche an pädagogisches Holzspielzeug, biodynamisches Essen und sinnlose Urlaubsfernreisen, da muss ich dann schon sehen.

«Für Schweizer Verhältnisse unbezahlt», präzisierte mein schweizerischer Führungsredaktor und nannte mir eine Zahl. Als ich aus der Ohnmacht erwachte, rief ich meinen Schneider an und orderte ein Dutzend Massanzüge, vom Teuersten.

Und wer auch nur zwei Paar Hosen besitzt, massgeschneidert oder nicht, der mache eines davon zu Geld und erwerbe unverzüglich das neue Buch von Ruedi Widmer, das «Widmers Weltausstellung» heisst, viele schöne Cartoons und Glossen (zumal aus der WOZ) versammelt und sehr, sehr gut ist. Derart gut ist es, dass nicht einmal das hervorragende Vorwort einen Stich macht, obwohl es sogar von mir ist, weil ich nämlich seit einigen Jahren in der Stadt der Weltausstellung von 2000 wohne und mich also mit Weltausstellungen, seien sie nun von Hannover oder Ruedi Widmer, vollauf auskenne; wobei die fundamentalen, geradezu existenziellen Unterschiede zwischen Ruedi und mir freilich gleich ins Auge fallen: Ich bin Europäer, er ist Winterthurer, ich kann nicht zeichnen, er immerhin ein bisschen, und bin ich in der Tradition des grossen Chlodwig Poth ein «Berufsärgerer», der morgens aus dem Fenster oder in die Zeitung sieht und sofort in den ersten Wutanfall gerät, sieht Ruedi zwar morgens gleichfalls in die Zeitung, kocht sich aber lieber erst mal einen schönen Schümlikaffee und bedenkt dann alles sehr genau, bevor er mit gleichwie kindlichem Strich einen Cartoon aus dem Rechner fliessen lässt oder eine Glosse verfasst, die sich eher wundert, als dass sie zetert.

Das hat erstens einen vordergründig freundlichen, wundersam herablassenden Effekt und zollt zweitens jenem Quatsch Anerkennung, der schliesslich Teil von Gottes grosser Schöpfung ist.

Hätte ich es nicht selbst gesagt, ich hätte es nicht schöner sagen können, und da man es mit der Reklame auch nicht übertreiben soll, nun wieder etwas vorgetäuscht Kritisches: «Gas-Alarm beim Winterthurer HB», lesen wir im «Blick». «Die Winterthurer Stadtpolizei warnt vor ausgeströmten Gas in der Konradstrasse beim Hauptbahnhof. Die Anwohner wurden aufgefordert, Fenster und Türen geschlossen zu halten und nicht zu rauchen.» Es ist typisch für unsere Boulevardmedien, dass sie nicht einmal eine Adresse korrekt wiedergeben können, denn dass Ruedi, der zu Mittag Bohneneintopf (nach Schweizer Art) hatte, nicht in der Konradstrasse arbeitet, sondern ganz woanders, hätte eine «Recherche» im Branchenbuch rasch klären können.

So nicht, lieber «Blick», so nicht!

Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.

«Widmers Weltausstellung»: Rotpunktverlag, Zürich 2018, 168 Seiten, 34 Franken.