Alissa Ganijewa: Zurück in den Nichtort, um zu heiraten
«Eine Liebe im Kaukasus» ist ein höchst komischer Roman, in dem Söhne zur Wahrsagerin geschleppt werden und Frauen Teemischungen tauschen, um ihre Männer vom Fremdgehen abzuhalten.
Patja ist erst 25 Jahre alt, aber in ihrer Heimat Dagestan gilt sie schon als «altes Mädchen». Sie hat zu lange herumgetrödelt, auch ihr Bruder in Moskau, bei dem sie ein Jahr gelebt hat, ist überzeugt, dass sie bald «keiner mehr angucken wird». Also gibt sie ihren Job bei Gericht auf und kehrt in die Siedlung in Dagestan zurück, wo ihre Mutter dabei ist, einen Bräutigam für sie zu suchen.
Ein Fehler «aus Liebe»
Die «Siedlung» in der russischen Republik Dagestan liegt irgendwo in der Nähe des Kaspischen Meers, eher ein Nichtort an einer Eisenbahnlinie, die die EinwohnerInnen in diejenigen vor und hinter dem Gleis trennt. Hier leben Angehörige verschiedenster Ethnien, die seit den vierziger Jahren aus dem Hochgebirge in die Ebene umgesiedelt wurden: traditionsgläubig, stur und freiheitsliebend. Patjas Grossmutter stammt noch aus diesen Festungen in den Bergen, wo nach jahrhundertealten Regeln gelebt wurde. In den von unzugänglichen Bergen umstellten Salzsteppen haben sich diese Traditionen verloren: «Kein Kuchen», ruft Alissa Ganijewa in ihrem Roman «Eine Liebe im Kaukasus» ein schönes Bild auf, «sondern angebrannte Krusten vom Blech.»
Gleichzeitig mit Patja kehrt auch der junge Rechtsanwalt Marat, der in Moskau Bürgerrechtler verteidigt, in die Siedlung zurück. Um den Sohn dazu zu bringen, sich endlich eine Braut zu suchen, haben seine Eltern den Hochzeitstermin bereits festgesetzt und einen Festsaal gemietet. Marat nimmt das gelassen und lässt sich – ähnlich wie Patja – zu den verschiedenen Kandidatinnen führen. Er weiss nur, dass eine Braut, die den Nikab trägt und viel betet, nicht für ihn infrage kommt.
Denn in der von Clanstrukturen und Korruption geprägten Siedlung tobt ein Kulturkampf zwischen russischem Nationalismus und islamistischen Extremisten. Diesseits des Gleises sorgt eine der gemässigten sufistischen Tradition verbundene Moschee für die Koexistenz mit der russischen Zentralgewalt, jenseits betreiben radikale Salafisten die Islamisierung der Gegend.
Die jungen Frauen indessen unterliegen allesamt einer scharfen sozialen Kontrolle, die Heirat wird von den Eltern arrangiert, und Männer, die sich einmal mit einem Mädchen in der Öffentlichkeit sehen lassen, glauben, ein Anrecht auf sie zu haben. So wie Timor, mit dem Patja eher aus Langeweile korrespondierte und der sie nun verfolgt. Amischka wiederum, die «aus Liebe» einen Fehler begangen hat, denkt darüber nach, ihr Hymen wieder instand setzen zu lassen. «Dass du dich bloss nicht zunähen lässt», warnt Patja ihre Freundin.
Kein glückliches Ende
Von der Rückkehr der Protagonistin und des Protagonisten erzählt Ganijewa alternierend einmal aus der flapsigen Ich-Perspektive Patjas und der eher ironisch-distanzierten Marats – dabei zwischen Jugendslang, ideologisch verbohrter Rede und mütterlichem Sorgeduktus changierend. Wenig überraschend begegnen sich Patja und Marat und verlieben sich ineinander. Doch das glückliche Ende wird durchkreuzt vom Totschlag an einem Freund Marats, der sich den radikalen jungen Männern entgegenstellt, und von der Gewalt in der Gegend.
Der umfassende kulturgeschichtlich-mythologische Gehalt dieses Romans, die vielfältigen religiösen Verweise werden für die meisten LeserInnen wohl erst zugänglich durch die von der Übersetzerin Christiane Körner verantworteten «Hinweise für uneingeweihte Leser». Sie klärt auf über die Geschichte Dagestans, die Versatzstücke aus der islamischen Mystik und die darin verankerten Verschmelzungsfantasien, die sich auch aussprechen, wenn Patja über Marat nachdenkt: «Er war mir so vertraut, dass es mir vorkam, er wäre ich, nur als Mann.» Habilek wiederum, der undurchsichtige Oligarch, der in der Siedlung die Fäden zieht, verweist auf den Hidr (auch al-Khidr genannt) aus der muslimischen Legende, den mehrfach auftretenden Mann im grünen Mantel, der für einen offenen, toleranten Islam steht.
Doch von diesen beziehungsreichen Unterströmungen abgesehen, handelt es sich bei Ganijewas zweitem Roman nach «Die russische Mauer» um ein höchst komisches, manchmal von melancholischen Bildern flankiertes Buch, in dem Söhne noch zur Wahrsagerin geschleppt werden und Frauen Teemischungen tauschen, um ihre Männer vom Fremdgehen abzuhalten. Die Mütter haben in der Gesellschaft Dagestans noch grossen Einfluss, auch wenn sie in Patjas und Marats Fall weniger erfolgreich sind und die Hochzeit für Patja am Meer in der umschlingenden Freiheit endet.
Alissa Ganijewa: Eine Liebe im Kaukasus. Aus dem Russischen von Christiane Körner. Suhrkamp Verlag. Frankfurt 2016. 238 Seiten. 32 Franken