Aarauer Kulturpolitik: Menschenrechte im Zwischenlager

Nr. 2 –

Seit zwanzig Jahren wartet das grosse «Menschenrechtsdenkmal» von Bettina Eichin darauf, öffentlich aufgestellt zu werden. Der Plan, es in Aarau zu platzieren, ist vorläufig gestoppt worden.

«Alle Bürger haben das Recht … »: Detail aus Bettina Eichins Bronzeskulptur «Menschenrechte im Bundeshaus, 1776, 1789, 1791», eingeweiht 2000. Foto: Yohan Zerdoun

Die Menschenrechte haben es gegenwärtig nicht einfach. Nicht einmal in einer in Metall gegossenen Form. In der Schweiz wird seit beinahe zwanzig Jahren ein Platz für ein Menschenrechtsdenkmal gesucht. Geschaffen von der Künstlerin Bettina Eichin, sollte es jetzt in Aarau aufgestellt werden – dort, wo die moderne Schweiz mit der Helvetik ihren Anfang genommen hat. Doch der Aarauer Stadtrat will davon vorläufig nichts wissen.

Das Denkmal wurde von privaten Mäzenen für das Jahr 1998 in Auftrag gegeben, auf den 200. Jahrestag der Helvetischen Republik und den 150. Jahrestag des Schweizer Bundesstaats. Erinnert werden sollte damit auch an Peter Ochs (1752–1821), den lange verfemten radikalen Politiker und Autor der ersten helvetischen Verfassung. Die Künstlerin Bettina Eichin, deren Skulptur «Helvetia auf der Reise» am Basler Rheinufer immer wieder für Furore sorgte, entwarf dafür eine Installation. Ein grosser dreieckiger Raum, in dessen Innern sich eine Schreibstube der Aufklärung befindet.

An den jeweils fünf Meter langen und zweieinhalb Meter hohen Aussenwänden sollten, wie Wandzeitungen, die drei frühesten Menschenrechtserklärungen in Bronze gegossen präsentiert werden: die amerikanische Virginia Bill of Rights von 1776, die französische Déclaration des Droits de l’Homme et du Citoyen von 1789 und die von Olympe de Gouges verfasste Déclaration des Droits de la Femme et de la Citoyenne von 1791, die erstmals Frauen und Männer gleichstellt. Alle drei in der Originalsprache ebenso wie auf Deutsch.

Im Bundeshaus überflüssig

Zeitgerecht wurde das «Menschenrechtsdenkmal» als Rohbau in Basel vorgestellt; die drei überlebensgrossen Texttafeln gelangten vorerst als eigenständige Skulptur aufgrund einer Petition von 120 ParlamentarierInnen ins Bundeshaus in Bern. Doch dann geriet das Projekt in Gegenwind. In Basel konnte weder auf dem Petersplatz noch anderswo ein adäquater Ort gefunden werden. Und anlässlich des Umbaus des Bundeshauses in Bern 2005 wurde die Bronzeskulptur für überflüssig erklärt. Also wurde sie zwischengelagert, später kurzfristig in Basel und Fribourg präsentiert, landete 2015 für eine Ausstellung zur Demokratie im Aarauer Stadtmuseum (siehe WOZ Nr. 19/2015 ) und ist seither wieder eingelagert.

Anstelle der ursprünglichen Bronzetexte gravierte Bettina Eichin für das Denkmal die Texte in einer eigens entworfenen Schrift auf Tafeln, ergänzt durch die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948. Ein Aarauer Patronatskomitee wollte das solcherart vervollständigte «Menschenrechtsdenkmal» nunmehr nach Aarau holen. In Aarau hatte Peter Ochs am 12. April 1798 die Helvetische Republik ausgerufen. Was wäre da passender, als das Denkmal im öffentlichen Kasinopark gegen die Laurenzenvorstadt hin aufzustellen?

Im vergangenen Mai wurde ein entsprechendes Baugesuch eingereicht. Dagegen gab es Einsprachen, vom Heimatschutz, aber auch von Privatpersonen. Simone Silbereisen vom Patronatskomitee kann die Einwände nicht ganz nachvollziehen. Da seien viele Missverständnisse vorhanden, private Interessen würden vorgebracht, auch politische Untertöne seien nicht zu überhören.

Mitte Dezember hat der Aarauer Stadtrat jetzt für die Einwohnergemeinde als Grundeigentümerin entschieden, den Park für das Denkmal nicht zur Verfügung zu stellen. Damit werde auch das Baugesuch vorerst hinfällig. Der Stadtrat nennt eine Reihe von Gründen, etwa die Konkurrenz zum Zschokke-Denkmal im selben Park. Aber der Schriftsteller und Pädagoge Heinrich Zschokke (1771–1848) hätte als unerschütterlicher Aufklärer die Nachbarschaft des sprachmächtigen Denkmals sicherlich begrüsst. Am ehesten kann Silbereisen, die als Umweltberaterin tätig ist, noch die Bedenken wegen einer anstehenden Gesamtkonzeption für den Stadtpark verstehen. Ein ausgereiftes Projekt steht dafür allerdings nicht in Aussicht.

Grundsätzlich, sagt Stadtschreiber Daniel Roth, sei der Stadtrat dem Vorhaben nicht abgeneigt. Nur die vorgeschlagene Stelle scheine ihm dafür nicht geeignet. Man sei aber bereit, zusammen mit dem Komitee über mögliche andere Aufstellungsorte zu diskutieren. Das wäre doch eine Jubiläumstat, etwa zum Jahrestag der Gründung der Helvetik am 12. April. Das Aarauer Komitee will nach dem ersten Rückschlag nicht aufgeben, wie Simone Silbereisen bekräftigt. Die Diskussion um Menschen- und Frauenrechte bleibe ein wichtiges Anliegen. Womöglich werde man in der Öffentlichkeit vermehrt für das Projekt werben. Und ein anderer Standort sei durchaus erwägenswert.

Ein Beitrag zur Verteidigung

Das Denkmal selbst ist, nach seiner langen Leidensgeschichte, zum grösseren Teil vollständig. Über 300 StifterInnen haben es bislang mit 300 000 Franken unterstützt. Noch fehlen der vierte Text von 1948 und die Schrifttafel, die das Denkmal am Ort erklärt. Dafür fehlt auch noch Geld. Auch kleine Summen helfen: Jede und jeder kann einzelne Lettern oder Wörter aus den Menschenrechtstexten sponsern.

Dieses Jahr wird im Parlament die Initiative der SVP «Schweizer Recht statt fremde Richter» diskutiert werden. Sie richtet sich zentral gegen die Europäische Menschenrechtskonvention. Das «Menschenrechtsdenkmal» wäre ein eindrücklicher Beitrag zu deren Verteidigung. Vorausgesetzt, es findet schnell einen öffentlichen Platz.

www.menschenrechtsdenkmal.ch