Aarauer Stadtmuseum: Um Kopf und Kragen

Nr. 19 –

Das Haupt unter die Papierguillotine legen: Eine Ausstellung im erweiterten Aarauer Stadtmuseum umkreist die Demokratie, auch mittels ein paar Scherzen.

Wofür riskiere ich mein Leben? Auf die ­BesucherInnen der Demokratieausstellung in Aarau wartet das Fallbeil mit papierenem Messer. Foto: Yohan Zerdoun, Stadtmuseum Aarau

Grün-rot-gelb: Mit einer grossen Trikolore empfängt die Ausstellung zur Demokratie im Aarauer Stadtmuseum. Aber es geht nicht um Rastas, sondern um die Nationalflagge der Helvetik. Unter dem Banner ist die erste Verfassung der Schweiz zu lesen, die Peter Ochs am 12. April 1798 in Aarau verkündete. Ein halbes Jahr lang war Aarau Hauptstadt der Einen und Unteilbaren Helvetischen Republik. Der Balkon, von dem sie ausgerufen wurde, hängt noch immer bescheiden am ersten Stock des Rathauses.

Das Aarauer Stadtmuseum, bislang im alten Schlossturm untergebracht, ist durch einen Kubus samt begrünter Attika erweitert worden. Der Architekt Roger Diener orientierte sich in seinen Plänen an der Quaderform des bisherigen Turms, macht sie eleganter und leichter. 134 Aarauer Figuren von Josef Felix Müller schmücken die Fassade, in Beton gegossene Menschen, die warten, sich gelegentlich in Pose werfen.

In der ersten Ausstellung im neuen Bau geht es nach der Helvetik in einem Zwischenraum an Bettina Eichins Monumentalinstallation «Menschenrechte» vorbei. Die ersten drei menschenrechtlichen Verfassungen der Moderne, von 1776, 1789 und 1791, hat sie da in Bronze gestanzt. Das Kunstwerk wurde 1999 von der Eidgenossenschaft erworben, steht aber nicht wie geplant beim Bundeshaus, sondern an der Uni Fribourg, die es nach Aarau ausgeliehen hat.

Im nächsten Raum werden Fragen der politischen Partizipation weit aufgefächert: Frauen- und AusländerInnenstimmrecht; die Rolle der Medien; Internetdemokratie und Netzneutralität; aktuelle Probleme des Initiativrechts. Die Texte sind informativ, engagiert und aktuell, die Veranschaulichungen lebhaft. Eine Bilderwand mit einer Vielfalt von Protestaktionen. Talking Heads oder Nationalrat Balthasar Glättlis Alltagsroute anhand seiner Handyvorratsdaten rekonstruiert.

Repräsentanz

Politik ist immer auch Inszenierung. In einem Schaukasten findet sich der Vertragstext der Bilateralen I zwischen der Schweiz und der EU, die 1999 abgeschlossen wurden und 2002 in Kraft traten. Das ist ein gediegener Band, im elegant schmalen Hochformat. Schönes, kräftiges Papier, beige, eine rote Linie um den Text, violetter Inneneinband, rote Lesebändchen. Was nicht öffentlich ausgehandelt worden ist, wird hier zum ersten Mal öffentlich gezeigt. Das Vertragsdokument repräsentiert nicht nach aussen, sondern ist eine Inszenierung nach innen für das politische System, das sich selbst seine Bedeutung und Seriosität bestätigt.

Im benachbarten Schaukasten liegt ein bemalter Pflasterstein, den die Béliers für die Unabhängigkeit des Juras warfen. Hier ist es gerade umgekehrt: Er repräsentierte einst eine handfeste öffentliche Aktion und ist jetzt musealisiert.

Im Zentrum des Hauptraums steht die Guillotine. Ein reales, historisches Guillotinenmesser aus Paris wird ergänzt durch die Installation «Paper Cut». Schriftlich hält man fest, wofür man Kopf und Kragen riskieren würde, dann legt man den Kopf unter die Papierguillotine, und mit ein paar Sekunden Verzögerung wird eine Videoaufzeichnung projiziert, die die Reaktion beim Fallen des Papiermessers dokumentiert. Das ist ein hübscher Klamauk.

Gegen die Grenzen

Die Ausstellung, konzipiert von Marc Griesshammer, ist dort am interessantesten, wo sie gegen ihre Grenzen drängt. «Wann haben Sie das erste Mal selbst bestimmt?», wird in einem Raum gefragt. Demokratie wird hier weit und fundamental verstanden: als Selbstermächtigung. Auf einer Kreidetafel dürfen wir alle jenen Moment erzählen, in dem wir uns das erste Mal auflehnten, gegen die Eltern, gegen die Lehrerinnen, gegen politische Autoritäten. Die Resultate sind eher banal, aber der angestossene Denkprozess ist hier das Ziel.

Der demokratische Prozess vollzieht sich in Ritualen, mittels bestimmter Handlungen und an bestimmten Orten. In Aarau bemüht man sich, an solche physische Erfahrungen anzuknüpfen. Der Hauptsaal lässt sich von einer Balustrade aus überblicken, und darüber ist ein Live-Feed vom Aarauer Schlossplatz zu sehen: Wer ist oben, wer unten, und wie verändert das die Perspektive? Tatsächlich, Demokratie hat auch etwas mit Macht zu tun.

«Demokratie! Von der Guillotine zum Like-Button» in: Aarau, Stadtmuseum, Dienstag bis Freitag von 11 bis 18 Uhr, Donnerstag von 11 bis 20 Uhr, Samstag und Sonntag von 11 bis 17 Uhr. www.stadtmuseum.ch