Durch den Monat mit Laura Flanders (Teil 2): Sie plädieren für den Anti-Tweet?

Nr. 2 –

Laura Flanders fand als junge Aktivistin in Nordirland zum Journalismus. Heute findet sie, dass das lange Gespräch die grösste politische Wirkung erzeugt.

Laura Flanders in New York: «In sorgfältigen Auseinandersetzungen können Unzufriedene verschiedener Schattierungen herausfinden, wo sie sich einig sind und wo nicht.»

WOZ: Laura Flanders, wie wird eine junge britische Frau Journalistin in den USA?
Laura Flanders: Ich kam in die USA, um zu studieren, was mich schon in London bewegt hatte: die Situation in Nordirland. Meine Abschlussarbeit in Geschichte und Women’s Studies am Barnard College, einer Frauenuni in New York, drehte sich um die Frage, inwieweit die Frauen der Irish Republican Army, IRA, Feministinnen sind. Da dachte ich schon fast «amerikanisch»: Wieso nicht hingehen und es selbst herausfinden? Ich glaube nicht, dass ich mir diese Freiheit in Britannien genommen hätte. Das Politischste, was ich da wagte, war, für ein Amt in der privaten Mädchenschule zu kandidieren, die ich besuchte. Übrigens ohne Erfolg.

Ihre erste journalistische Recherche führte Sie also von New York direkt nach Belfast?
Ich begann eigentlich eher als Aktivistin. Ich arbeitete 1984 an einem Bericht über Staatsgewalt und häusliche Gewalt in Nordirland. Vor Ort wurde ich dann Zeugin, wie ein Mann an einer Demonstration von einem Soldaten erschossen wurde. Ich konnte darüber berichten, indem ich die WBAI-Station in New York anrief, einen Sender des unabhängigen linken Pacifica Radio. Dafür brauchte ich keinen Journalismusabschluss, denn WBAI arbeitet mit Hörern und Aktivistinnen zusammen, nicht bloss mit dem Medienestablishment. Meine Karriere entstand aus dieser direkten Berichterstattung.

Aber Sie haben sich weiter theoretisch mit Journalismus befasst. Sie arbeiteten jahrelang bei der US-Organisation Fair, die sich für Fairness und Genauigkeit bei Recherchen einsetzt.
In den Neunzigern realisierte ich, dass es nicht genügt, die grossen Medien zu kritisieren, sondern dass wir unsere eigenen Medien schaffen müssen. Die beste Berichterstattung ist nichts wert, wenn du deine Story nicht verbreiten kannst. Denn dann verrätst du die Leute, die dir ihre Geschichte anvertraut haben.

Sie haben in Ihrer Familie etliche bekannte linke Publizisten.
Stimmt, ich hatte viele grosse Vorbilder. In den dreissiger Jahren publizierte mein Grossvater Claud Cockburn die linke Wochenzeitung «The Week». Mein Halbonkel Alexander Cockburn schrieb im politischen Newsletter «CounterPunch». Gleich um die Ecke gab es Amy Goodman und ihre Radioshow «Democracy Now!». Als Wahl-New-Yorkerin fand ich die Gründung eines eigenen Mediums naheliegend. In England wäre das schwieriger gewesen. Das Establishment ist dort viel hegemonialer.

Sie haben sowohl mit Printmedien wie mit Radio und Fernsehen gearbeitet. Haben Sie persönliche Vorlieben?
Schreiben ist mir am liebsten. Und Radio ist wohl das beste Medium in Bezug auf Kosten und Nutzen. Angefangen habe ich mit Dokumentarfilmen, doch ihre Entstehungszeit ist lang. Wenn man im Moment etwas bewirken will, ist ein Film nutzlos. Radio wurde für mich zur reaktionsschnellen Alternative. Das Fernsehen kam hinzu, weil ich mir überlegte, dass man dem Publikum Menschen besser näherbringen kann, wenn man das Gegenüber auch sieht. Aber ich bin mir da nicht sicher …

In Ihrer wöchentlichen «Laura Flanders Show» tun Sie aber genau das: Sie setzen sich mit einer oder mehreren Personen hin und entwickeln vor dem Publikum ein halbstündiges Gespräch. Wieso diese Form des langen Interviews?
Kurze Antwort: Man tut, was man kann. Eine Gesprächsrunde ist billiger als eine Reportage vor Ort. Doch ich habe auch politische Gründe. Je länger ich journalistisch tätig bin, je weniger will ich bloss abbilden, was geschieht. Wir linken Medienschaffenden müssen nicht bloss neue interessante Leute ins öffentliche Gespräch bringen, wir müssen dieses öffentliche Gespräch auch gestalten. Zeigen, wie man Fragen stellt, wie man Informationen herausholt, wie man engagierte Personen und ihre Anliegen miteinander verbindet.

Ein Stück praktisches Medientraining für Aktivistinnen und Aktivisten?
Ich nenne es «marginalisierten Fachleuten sinnvolle Aufmerksamkeit schenken». Meist erhalten diese bloss ein paar Sekunden Sendezeit, um einen Slogan zu schreien, und das macht man ihnen dann hinterher zum Vorwurf. Doch gerade wenn jemand nicht bloss die Gegenseite kritisiert, sondern neue Ideen vorbringt, braucht die Präsentation etwas Zeit.

Haben Sie einen unerfüllten journalistischen Traum? Etwas, das Sie unbedingt tun möchten?
Es wäre schön, Teil einer möglichst internationalen Bewegungsmedienplattform zu sein, die zum grossen Teil von aktiven Leuten an der Basis gestaltet wird. Journalistische Profis könnten dann die verschiedenen Organisationen miteinander vernetzen oder auch das Publikum mit den Bewegungsleuten in Kontakt bringen. Persönlich möchte ich wieder mehr schreiben, zum Radio zurückgehen und noch längere Gespräche führen. Denn in sorgfältigen Auseinandersetzungen können Unzufriedene verschiedener politischer Schattierungen herausfinden, wo sie sich einig sind und wo nicht. Ich möchte Brücken bauen und nicht Mauern.

Sie plädieren also für den Anti-Tweet?
Genau, ent-tweeten wir die politische Diskussion!

Seit 2004 produziert die britische US-Journalistin und Buchautorin Laura Flanders (55) jede Woche ihre eigene Fernsehshow. Im linken Magazin «The Nation» veröffentlichte sie letzten Mai einen langen Essay zum 100. Jahrestag des Oster-aufstands in Nordirland.