Piraterie in Somalia: «Es hat sich nicht mal gelohnt»

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Jahrelang haben Piraten am Horn von Afrika Handelsschiffe gekapert, geplündert und entführt. Was ist aus ihnen geworden? Zwei ehemalige Seeräuber erzählen.

Die beiden Männer wirken, als kämen sie gerade von einem Bürojob. Beide tragen saubere und gebügelte Hemden mit dezenten Mustern. Auch ihre Jeans sind tadellos. Yusuf Ali, der Grössere der beiden, trägt eine Sonnenbrille, die er nicht einmal abnimmt, als wir das halbdunkle Zimmer betreten, in dem wir miteinander reden werden.

Noch vor fünf Jahren fuhren Ali und sein Freund Hassan Farah, die ihre richtigen Namen nicht verraten wollen, schwer bewaffnet zur See, jagten in einem Schnellboot durch die Gewässer vor der Küste Somalias. Immer auf der Suche nach einem Frachter, den sie kapern und dessen Besatzung sie kidnappen konnten. «Das war ein grosses Abenteuer, aber auch extrem anstrengend», sagt der inzwischen 42-jährige Farah. «Unser Boss erwartete von uns natürlich, dass wir erfolgreich sind.»

Manchmal seien sie auf der Suche nach «Beute» zwanzig oder dreissig Tage lang auf dem Meer geblieben. «Die Gefahr war ein Kitzel, das Adrenalin ein Rausch», schwärmt Ali. Er ist mit 26 Jahren deutlich jünger, sein hageres Gesicht wirkt hart. «Du bist zuerst aufgeregt und nervös. Aber sobald du das Seil oder die Leiter gepackt hast, um an der Bordwand hochzuklettern, bist du wie berauscht vor Glück.»

Das Leben geniessen

Wenn sie ein Schiff gekapert hatten, erpressten ihre Hintermänner Lösegeld. In der Hochzeit der Piraterie, zwischen April 2005 und Dezember 2012, erbeuteten die Piraten nach Schätzungen der Vereinten Nationen um die 400 Millionen US-Dollar. Zwischen 2008 und 2011 starteten die Seeräuber fast täglich Attacken und brachten mehr als hundert Schiffe in ihre Gewalt.

Ali sah in der Piraterie die Chance seines Lebens. Er wurde kurz vor Beginn des Bürgerkriegs geboren, der 1991 mit dem Sturz von Diktator Siad Barre begann und noch immer andauert. Er wuchs in einem Flüchtlingslager in Kenia auf, wo er ausreichend zu essen bekam und in die Schule ging. «Aber ich hatte kein Geld, und meine Familie brauchte Unterstützung.» Im Sommer 2007 hörte er, dass junge Männer an der Küste im Norden Somalias «jede Menge Geld verdienen» konnten. Der Ort Harardheere in der halbautonomen Region Puntland war eine der Hochburgen der Piraterie, die damals immer mehr junge Somalier anlockte.

Farah lebte damals schon in Harardheere, verdiente sein Geld zunächst als Fischer. «Weil es keinen somalischen Staat mehr gab und niemand unsere Gewässer verteidigte, fingen die ausländischen Trawler alles weg», sagt er. Deshalb hätten sie beschlossen, ihre Fanggründe selbst zu verteidigen. Vielleicht lockte aber auch ihn vor allem die Aussicht auf schnelles Geld. Farah gab die Fischerei auf, schloss sich der Piratencrew an.

Ali genoss sein damaliges Leben. «Das viele Geld war wie ein Rausch. Nachdem wir das erste Schiff gekapert hatten, bekam ich 15 000 US-Dollar als meinen Anteil. Mit der Zeit wurde es immer mehr.» Beim letzten Überfall habe er 55 000 US-Dollar bekommen. «Wir waren alle noch unglaublich jung, plötzlich hielten wir diese märchenhaften Geldsummen in den Händen», erzählt Ali. «Wir haben es verschleudert – für Partys und Frauen. Geld, für das man nicht ehrlich arbeiten musste, ist meist genauso schnell weg, wie man es bekommen hat.»

Bedauern und Nostalgie

Das Ende kam für beide im Herbst 2011. Ihr Hintermann starb, aus dem Abenteuer war längst ein Krieg geworden: Internationale Marineschiffe patrouillierten zum Schutz der Handelsschiffe vor der Küste. «Viele unserer Freunde oder Kollegen waren gefangen oder getötet worden», sagt Ali. «Da sind wir ausgestiegen.»

Die beiden gingen nach Mogadischu – kein einfaches Pflaster. Nach 25 Jahren Krieg liegen ganze Quartiere in Ruinen, dazwischen hausen 400 000 Vertriebene in Notunterkünften. Aber inmitten der Zerstörung wird seit rund fünf Jahren auch gebaut. RückkehrerInnen aus dem Ausland und lokale Geschäftsleute hoffen auf baldigen Frieden, investieren in neue Hotels und Unternehmen. Auf diesen Baustellen verdient Farah jetzt als Tagelöhner sein Geld. Gerade genug, um seine Frau und seine Kinder zu ernähren. Ali lebt mit seiner Familie von den hundert US-Dollar, die Verwandte seiner Frau jeden Monat aus Europa überweisen. Schon wenn sie täglich dreimal zu essen haben, ist das für die beiden ein kleiner Erfolg.

«Ich bedaure, was ich getan habe», sagt Farah. «Es war schlecht, und es hat sich noch nicht einmal gelohnt. Das ganze Geld ist weg.» Ali hingegen ist froh um die Erfahrung. «Viele sind frustriert, weil sie kein Geld haben, und glauben, dass ihnen etwas unglaublich Wichtiges entgeht.» Er dagegen habe alles gehabt und wieder verloren. «Ich weiss jetzt, dass Geld nicht alles ist. Es ist nur Geld, mehr nicht.»