Von oben herab: No sports
Stefan Gärtner über die Bündner Olympiakandidatur
Mir fällt zu Olympia nichts ein, und das Einzige, was ich gespeichert habe, ist, wie 1984 dieser Typ mit dem Raketenrucksack ins Stadion segelt; und vielleicht noch, wie der Sprinter Ben Johnson vor den Spielen von Seoul in eine TV-Kamera hineinsprach, er nehme ja immer diese Pillen, eine Aufnahme, die nach seiner dopingbedingten Disqualifikation an Relevanz noch gewann. Der Rest? Egal; und Winterspiele eh.
Weil ich dem Wintersport nie in Leidenschaft verbunden war, auch nicht passiv vor dem Fernseher, fällt es mir leicht, die Idee «Olympia» abzulehnen, wie sie sich in unseren krachend kapitalistischen Zeiten als Verstärkerin des ruinösen Akkords aus «schneller», «höher» und «weiter» etabliert hat, und da können die Bündner Menschen, die es 2026 wieder wissen wollen, noch so treuherzig «bescheidene und nachhaltige Spiele» planen: Es bleibt der olympische Quatsch als Wahnsinn so offenbar, dass es selbst die «Neue Zürcher Zeitung» nicht übersehen kann: «Die Austragung solcher Spiele ist ein finanzieller Kraftakt, auch wenn die Kosten hierzulande nur einen Bruchteil des megalomanen Projekts von Sotschi ausmachen würden. Kosten, die notabene die Steuerzahler zu tragen hätten. Denn vom grossen Geld, das etwa mit Fernsehrechten und Werbung umgesetzt wird, profitiert fast ausschliesslich das Internationale Olympische Komitee. Die Frage bleibt also: Will sich die Schweiz in Zeiten klammer Kassen eine so opulente Sportveranstaltung leisten? Und vor allem: Wieso?»
Die beste aller Fragen, auf die es die erwartbarsten aller Antworten gibt. Das reflexhafte Gerede vom Impuls für den Tourismus, die Infrastruktur und das nationale Ansehen «hält einer kritischen Überprüfung aber nicht stand», in Rio und Sotschi so wenig wie in Davos und St. Moritz, sodass die NZZ schloss, «vielleicht» sei das einzige Argument für den ganzen Mumpitz «die Freude am Sport».
Als liesse sich das trennen: die naive «Freude» am Sport und ihre (und seine) sture Verwertung im Sinne des Kapitals und der ihm angeschlossenen Nation. Linke Soziologie spricht von «Sportifizierung», wenn es darum geht, wie sich die Leistungsgesellschaft im Sport ihre Blaupause schafft, und in dem von mir mitverantworteten Bändchen «Benehmt Euch!» fasst Koautor Jürgen Roth zusammen: «Die heutige Omnipräsenz des Hochleistungssports als auch des geistlosen, dem Imponiergehabe genauso wie der Fitmacherei (selbst)entmündigter Arbeitsmarktkretins dienenden Herumgesportels in allen Winkeln des gesellschaftlichen Lebens hat neben der schnöden Geldschaufelei von Kartellen, Verbandsbanden und Unternehmen die schlichte Funktion, den Gedanken der sozialen Auslese als Naturgesetz in den betäubten Schädeln festzudübeln.» Wo der nationale Gedanke dann auch noch sein Plätzchen findet, auf dass das Individuum nicht vergesse, in welchem Kollektiv es am schönsten ist.
Sport, so traurig es sein mag, ist Propaganda, und bis vor kurzem hätte ich zerknirscht zugeben müssen, wider dieses bessere Wissen dem Fussballsport als Fan ergeben zu sein. Doch seit August, als nach der Europameisterschaft gleich wieder die deutsche Bundesliga begann und ich ganz plötzlich das sichere Gefühl hatte, diesen hochkorrupten Unsinn jetzt würkli nicht mehr auszuhalten, ist es damit vorbei, und der Fernseher bleibt aus, wenn darin Werbeträger verschwitzt mitteilen, sie hätten «alles gegeben».
Denn damit fängt das Unglück an.
Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.