Frankreich: Der liberale Populist

Nr. 7 –

Emmanuel Macron hat gute Chancen, die französischen Präsidentschaftswahlen zu gewinnen. Woher rührt die Begeisterung für den ehemaligen Banker?

Wahlkampf ist langweilig? Nicht hier, nicht bei dem Spektakel um diesen Kandidaten. Unvermittelt dimmt die Hallenregie im Palais des Sports in Lyon das Licht, ein Popsong mit fetter Basslinie dröhnt aus den Boxen. Eben noch ist die «La Ola»-Welle durch das Rund gegangen. Kaum einer der 8000 Menschen auf den Rängen – noch ein paar Tausend mehr verfolgen das Geschehen auf einer Leinwand draussen vor der Halle – sitzt noch auf seinem Platz, die allermeisten sind aufgesprungen und recken die Hälse.

Ist Emmanuel Macron denn schon zu sehen? Endlich kommt er aus einem Seiteneingang, eine Entourage hinter sich. «On va gagner!» – Wir werden siegen! – skandieren die Leute, als wären sie bei einem Fussballspiel. Macron schüttelt bei seinem Einmarsch Hände, verteilt Küsschen, wirft sich in Pose für die FotografInnen.

Anfang Februar liess sich in der 130 Kilometer südwestlich von Genf liegenden Stadt erleben, was für eine Begeisterung Emmanuel Macron bei seinen öffentlichen Auftritten entgegenschlägt. Vielen gilt der frühere Berater und Minister des Nochpräsidenten François Hollande als Heilsbringer, als jemand, der die als versteinert empfundenen Verhältnisse der französischen Politik zum Tanzen bringen könnte. Umfragen zufolge hat der parteilose Kandidat gute Chancen, bei der Präsidentschaftswahl Ende April in die entscheidende Runde zu kommen. Dort würde er auf Marine Le Pen treffen, die Chefin des rechtsextremen Front National, und diese dann wohl mit überwältigender Mehrheit schlagen.

Ein Glücksfall für die Klatschmagazine

Woher nur rührt die Begeisterung für diesen Mann? Zweifellos hat Macron einen glänzenden Lebenslauf: Philosophiestudium an einer Elitehochschule, Job beim Finanzhaus Rothschild, Präsidentenberater, Wirtschaftsminister. Immer wieder war er in den vergangenen Monaten auf den Titeln französischer Magazine zu sehen. In der ansonsten wenig populären Regierung Hollande war er bis zu seinem Rücktritt im vergangenen August der Liebling der Medien. Für die Klatschpresse ist Macron ein Glücksfall: jung, unverbraucht, gut aussehend, dazu mit seiner ehemaligen Lehrerin verheiratet, die 24 Jahre älter ist als er. Kein farbloser Apparatschik, sondern ein Politiker, dessen Privatleben die Leute interessiert.

Auch bei JournalistInnen ausserhalb Frankreichs ist der 39-Jährige überaus populär. Je deutlicher zuletzt wurde, dass Macron reelle Chancen hat, Präsident zu werden, desto mehr gerieten seine Fans in den Auslandsredaktionen in Verzückung. Keiner sei geeigneter für den Élysée-Palast als er, jubelte etwa die «Süddeutsche Zeitung». Und das Wirtschaftsmagazin «Capital» betitelte ein Porträt von Macron lapidar mit: «Le Hoffnungsträger».

Dass liberale Stimmen in den Nachbarländern von einem politischen Quereinsteiger, der noch nie in ein Amt gewählt worden ist und keiner Partei angehört, derart angetan sind, dürfte vor allem daran liegen, dass Macron sich stets entschieden proeuropäisch geäussert hat. Bei seinen Auftritten schwenken seine AnhängerInnen nicht nur die französischen Nationalfarben, sondern auch die blaue Europaflagge. Auch in Lyon schallten immer wieder «L’Europe! L’Europe!»-Rufe durch die Halle. In Zeiten, in denen allerorten nationalistische PolitikerInnen reüssieren, die neue Mauern und Zäune errichten wollen, wirken solche Szenen schon beinahe unwirklich.

Wegen seiner europafreundlichen Haltung sei Emmanuel Macron zuletzt Ziel einer von Moskau lancierten Schmutzkampagne geworden, heisst es aus seinem Umfeld. Russische Medien würden gezielt Falschmeldungen über ihn verbreiten. Zweifellos favorisiert der Kreml Marine Le Pen. Die Rechtspopulistin, die noch immer die Umfragen anführt, will Frankreichs Souveränität wiederherstellen, die sie von der Europäischen Union bedroht wähnt. Sollte sie gewählt werden, will Le Pen die Bevölkerung über den Verbleib in der EU abstimmen lassen. Ihr Sieg würde daher einen «Frexit» und damit das Ende des Staatenverbunds möglich, wenn nicht sogar wahrscheinlich machen. Nicht nur viele BeobachterInnen im Ausland fürchten sich vor diesem Szenario. Auch bei der jüngeren Generation Frankreichs, die mit dem Euro und offenen Grenzen aufgewachsen ist, ist die Sorge gross. Bei Macrons Auftritten sind denn auch die Jüngeren überproportional vertreten, er erscheint ihnen als die beste Garantie dafür, dass nicht am Ende unter einer Präsidentin Le Pen die Zeit einfach zurückgedreht wird.

Wie Marine Le Pen ist aber auch Emmanuel Macron ein Populist. Sein Erfolg beruht ebenfalls darauf, dass er die Abneigung vieler FranzösInnen gegen die etablierten Parteien schürt. In einer Studie aus dem Jahr 2015 stimmten über achtzig Prozent der Befragten der Aussage zu, dass die französische Demokratie nur schlecht funktioniere und die Parteien nicht ihre Interessen repräsentieren würden. Das erklärt, warum Macron auf eine Kandidatur für den Parti socialiste verzichtet hat, obwohl er ja noch im vergangenen Jahr Wirtschaftsminister einer sozialistischen Regierung war; stattdessen hat er eine eigene «Bewegung» namens «En Marche!» (Auf gehts!) gegründet – und allein schon damit deutlich gemacht, was in seinen Augen die bestehenden Organisationen des Landes wert sind.

Das politische System in Frankreich sei viel zu selbstgefällig, sagte Macron auch bei seiner Rede in Lyon. Und dass für ihn Politik eine «Mission» sei und nicht ein Beruf, um Geld zu verdienen. Bei den Menschen, die dort zusammenkamen, fielen solche Sätze auf fruchtbaren Boden. «Schauen Sie sich doch die Kandidaten der anderen Parteien mal an! Die taugen allesamt nichts», sagte etwa die zwanzigjährige Studentin Barbara – und führte als Beispiel für die Verkommenheit des Establishments den konservativen Politiker François Fillon an, der derzeit mit einer peinlichen Affäre zu kämpfen hat.

Lange galt es als fast ausgemacht, dass Fillon derjenige sein würde, der gegen Le Pen in die Stichwahl zieht. Der Skandal um die offenbar fiktive Beschäftigung seiner Frau, für die diese öffentliche Gelder kassierte, hat ihm grossen Schaden zugefügt – und den Argwohn vieler FranzösInnen gegen «das System» weiter genährt. Inzwischen ist Fillon von Macron in den Umfragen überholt worden.

Programmdebatten gibt es nicht

Macrons Organisation hat nur wenige Monate nach ihrer Gründung fast 200 000 UnterstützerInnen. Von dieser Zahl darf man sich aber nicht täuschen lassen, mit einer sozialen Bewegung hat «En Marche!» wenig zu tun. Alles ist auf Macron zugeschnitten, es gibt keine Basis, die hitzig über divergierende Programmvorschläge debattieren würde, wie das bei den Vorwahlen der Konservativen und der SozialistInnen durchaus so war. Es ist kein Zufall, dass das Kürzel für «En Marche!» zugleich den Initialen des Kandidaten entspricht. Macron allein zählt, der Rest ist Beiwerk.

Das gilt auch für das Programm. Ein solches hat Macron bislang allenfalls in Grundzügen skizziert. Vor kurzem war er in einer Radiosendung zu Gast und musste dort den Spott zweier Comedians über sich ergehen lassen. Eine Waschmaschine habe mehr Programm als er, bekam er etwa zu hören. Viele derer, die in Lyon auf seinen Auftritt warteten, erhofften sich denn auch Konkretes von ihrem Favoriten. «Es wird schon Zeit, dass er sagt, was er genau vorhat», meinte etwa Odille, eine Seniorin, die sich von Macrons «philosophischer Ausstrahlung» sehr angezogen fühlt.

Dieser aber blieb auch diesmal im Vagen, wie stets bisher. Ausser Frage steht, dass er in gesellschaftspolitischen Fragen eher freisinnig ist und für einen wirtschaftsfreundlichen Kurs steht, weswegen er gemeinhin als Sozialliberaler etikettiert wird. Aber nur wenig hat er genauer skizziert: Die gesetzliche Regulierung der Arbeitszeit soll flexibler werden, ausserdem will er einige Tausend neue PolizistInnen einstellen und sicherheitspolitisch intensiver mit den anderen Staaten Europas kooperieren. In seinen Reden formuliert er solche Ideen aber fast nur nebenbei.

Reden wie im Managerseminar

Wichtiger als Inhalte ist die Performance: Macron will ein Frankreich verkörpern, das optimistisch in die Zukunft blickt und die Herausforderungen der globalisierten Moderne selbstbewusst in Angriff nimmt, statt sich ängstlich hinter den Landesgrenzen zu verschanzen. Eine Szene veranschaulicht diese Ambition gut: Als Macron in seiner Rede en passant die politische Konkurrenz erwähnte, schallten abfällige Pfiffe von den Rängen des Palais des Sports. Sofort wendete er sich an seine AnhängerInnen und mahnte: «Nein, ihr dürft nicht pfeifen! So bringen wir doch die Menschen nicht zusammen!»

Genau das ist nämlich seine frohe Botschaft: Die FranzösInnen müssten endlich ihre Differenzen überwinden für ein die ganze Nation umspannendes «Projekt», als dessen gemeinsamer Nenner Macron sich selbst versteht. Sicher gebe es Unterschiede zwischen den verschiedenen politischen Lagern. Doch fast im selben Atemzug erklärte er in Lyon auch: «Wir sind nicht rechts oder links. Wir sind alle Franzosen!»

Diese Rhetorik gleicht derjenigen Le Pens fast aufs Haar. Mit dem Unterschied, dass die nationale Einheit, die Macron beschwört, nicht durch ethnische oder kulturelle Kriterien definiert ist. Was in der Welt des ehemaligen Bankers weit mehr zählt als die Hautfarbe oder die Religion, ist die individuelle Leistungsbereitschaft; an diese appelliert Macron bei seinen Reden wie der Leiter eines Motivationstrainings für ManagerInnen.

In urbanen, gebildeten Milieus dürfte diese Botschaft ankommen: dort also, wo man die Globalisierung nicht als Bedrohung für den eigenen Arbeitsplatz empfindet, sondern von deregulierten Märkten profitiert, weil dann das neue iPhone billiger zu haben und das Auslandspraktikum unkomplizierter zu organisieren ist. Und diejenigen, die im entgrenzten Wettbewerb nicht mithalten können oder das vielleicht auch einfach nicht mehr wollen? In Lyon sagte Macron beiläufig einen bemerkenswerten Satz, in dem er die Forderung seines sozialistischen Konkurrenten Benoît Hamon nach einem bedingungslosen Grundeinkommen aufs Korn nahm: Er wolle keine Gesellschaft, in der es Leute gebe, die Besseres zu tun hätten, als zu arbeiten. En Marche! Das lässt sich auch als Drohung verstehen.