Vorwahlen des PS: Radikale Ideen für Frankreichs Sozialisten
Der Parti socialiste ändert den Kurs: Fortan gibt Benoît Hamon den Ton an. Der linke Parteirebell will ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle.
Die rechte Hand fest an der Brust, mit bedeutungsschwerer Geste also, erklomm Benoît Hamon am Sonntagabend die Bühne und verharrte einige Augenblicke andächtig. Dann richtete der 49-jährige Sozialist das Wort an seine versammelten AnhängerInnen. «Die Linke hat heute ihr Haupt erhoben und sich in Richtung Zukunft gewandt, um zu gewinnen!», verkündete er, während hinter ihm der Slogan seiner Kampagne zu lesen war: «Faire battre le cœur de la France» – das Herz Frankreichs pochen lassen. Auch kleine Triumphe provozieren pathetische Auftritte, erst recht wenn Wahlkampf ist.
Immerhin hat Hamon ja auch Aussergewöhnliches vollbracht. Er hat die Vorwahl des Parti socialiste (PS) für sich entschieden und tritt im April für die Partei als Präsidentschaftskandidat an. Die SozialistInnen haben mit diesem Votum einen radikalen Kurswechsel vollzogen. Mit Hamon hat sich ein Vertreter des in den letzten Jahren an den Rand gedrängten linken Flügels durchgesetzt – und nicht der favorisierte Manuel Valls. Ein Ergebnis, das vor wenigen Wochen noch kaum abzusehen war. Fast 59 Prozent der rund zwei Millionen Menschen, die sich an der Stichwahl beteiligten, stimmten für Hamon, der nun als der neue Hoffnungsträger der darbenden Partei gelten darf.
Schlappe für das Partei-Establishment
Die Vorgänge erinnern an die britische Labour Party und ihren ebenfalls von der Basis ins Amt katapultierten Vorsitzenden Jeremy Corbyn. Jedenfalls ist das Resultat eine Schlappe für das Partei-Establishment. Valls ist dessen exponiertester Vertreter, er hatte für einen wirtschaftsfreundlichen Kurs geworben, für dasselbe Programm also, mit dem Präsident François Hollande gescheitert war. Dass nun auch Valls eine Niederlage erlebte, unterstreicht, wie unpopulär diese Politik inzwischen bei den Parteimitgliedern ist. Deren Votum ist konsequent: Valls hatte als Ministerpräsident per Erlass regiert und sich auch gesellschaftspolitisch, etwa was seine Ablehnung des muslimischen Kopftuchs angeht, überaus konservativ gebärdet – während die Popularität des PS und seines Präsidenten immer weiter schwand.
Am Ende war die Lage so dramatisch, dass Hollande, der zu Beginn seiner Amtszeit noch klassenkämpferische Töne gegenüber der «Hochfinanz» angeschlagen hatte, auf eine erneute Kandidatur verzichtete. Eine Kür Valls’ zu seinem potenziellen Nachfolger hätte den PS letztlich überflüssig gemacht, eine konservativ-liberale Partei gibt es schliesslich schon. Stattdessen stehen die Zeichen nun auf Neuanfang.
Hamon, der seit Jahrzehnten in der Partei ist, diente als Bildungsminister in Valls’ Kabinett, verliess die Regierung aber 2014 im Streit, weil diese die Forderungen der Unternehmerverbände übernommen hatte. Entscheidend für den Erfolg des Parteirebellen war nun, dass es ihm gelang, die Themen zu setzen. Vor allem Hamons Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen erregte Aufsehen. Der rechte Flügel betonte unablässig, dass die Realisierung dieses Vorschlags nicht zu finanzieren und dieser deswegen unseriös sei – mit dem Ergebnis, dass plötzlich alle Welt über Hamon und seine Ideen sprach.
Diesen zufolge soll allen ein Einkommen von 750 Euro im Monat garantiert werden. Allerdings will Hamon das Projekt etappenweise umsetzen: Zunächst sollen die 18- bis 25-Jährigen ein Grundeinkommen erhalten, da von diesen besonders viele in prekären Verhältnissen leben. Nach einigen Jahren soll dann die gesamte Bevölkerung davon profitieren. Zur Gegenfinanzierung des mehrere Hundert Milliarden teuren Projekts schlägt Hamon unter anderem vor, eine Steuer auf Roboter einzuführen.
Heillos zerstrittener PS
Zwar ist ein solches Grundeinkommen auch in der Linken überaus umstritten: KritikerInnen argwöhnen, dass Bedürftigen nach dessen Einführung weniger Geld zur Verfügung stehen könnte als bislang. Doch Hamon hat Fragen der Verteilungsgerechtigkeit wieder zum Thema gemacht. Angesichts der Automatisierung der Produktion, meint der Sozialist, müsse darüber nachgedacht werden, wie die Arbeit neu verteilt werden könne. Hamon prangert damit den Missstand an, dass viele unter langen Arbeitszeiten leiden, während Millionen ohne Job dastehen. Dabei könnte die Rationalisierung von Arbeitsprozessen eigentlich ein Segen sein, wenn nur alle wirklich davon profitierten.
Zweifellos wäre die Einführung eines Grundeinkommens ein gewaltiges Experiment. Seit Tagen ätzen liberale und konservative KommentatorInnen, dass mit solch einem utopischen Programm der Untergang der SozialistInnen besiegelt sei, nur weil diese es wagen, anstelle der Verwaltung der sozialen Misere vorwärtsweisende Ideen ins Visier zu nehmen. Tatsächlich liegt Hamon in Umfragen hinter der Rechtsextremen Marine Le Pen, dem Konservativen François Fillon und dem Sozialliberalen Emmanuel Macron nur an vierter Stelle.
Gravierender noch ist, dass der PS heillos zerstritten ist. Nach Hamons Sieg drohen Valls’ Anhänger damit, ins Lager Macrons zu wechseln, die Partei könnte zerfallen. Und dann ist da noch der links vom PS stehende Jean-Luc Mélenchon, der im Wesentlichen zwar auf einer Linie mit Hamon liegt, aber kurzerhand dessen Erfolg für sich reklamierte. Ohne ein geeintes Auftreten aber ist das linke Lager im April chancenlos, mögen die einzelnen Ideen noch so unkonventionell sein.