«Die göttliche Ordnung»: Pussy Riot auf dem Dorfe

Nr. 9 –

Am Ende hilft nur noch der Streik: Petra Volpe hat den Kampf für das Frauenstimmrecht in der Schweiz als ländliche Tragikomödie verfilmt.

Tiger, Häschen, Schmetterling, Hai …: Ein weiblicher Lustguru (Sofia Helin, rechts) macht die Frauen aus dem Dorf mit der Welt der Vaginas bekannt. Foto: Daniel Ammann, Filmcoopi

Das Militär ist an sich ja eine sinnlose Einrichtung, aber für dramaturgische Zwecke erweist es sich manchmal doch als patente Sache. So kann ein Film den Mann getrost für zwei Wochen in den Wiederholungskurs schicken, damit die Hausfrau daheim sich unbehelligt emanzipieren kann. Nora heisst sie in «Die göttliche Ordnung», man soll bei dem Namen natürlich an Henrik Ibsen denken, und Marie Leuenberger spielt diese Figur perfekt: als rechtschaffene junge Frau vom Land, der klar wird, dass sie nicht als angesäuertes Hausmütterchen enden möchte – und die dann immer wieder von sich selbst überrascht wirkt, wenn sie sich erst zaghaft, später immer forscher der ihr zugewiesenen Rolle widersetzt.

Was sie will? Abstimmen dürfen, zum Beispiel. Und überhaupt Selbstbestimmung statt gnädiger Zuwendungen: wieder einer bezahlten Arbeit nachgehen, ohne dass sie dafür per Gesetz auf die Erlaubnis ihres Mannes (Max Simonischek) angewiesen wäre. Willkommen in der Schweiz 1971!

Lange her? Leider nein

Anderthalb Generationen nur liegt das zurück. Und gerade heute, wo sich auch rechte Gesellen zur Verteidigung des sogenannten Abendlands und seiner liberalen Werte gerne den Kampf für Frauenrechte auf die Fahne schreiben, kann es ja nicht schaden, wenn das Kino daran erinnert, wie weit es, nur schon historisch betrachtet, mit diesen Werten her ist bei uns in der Schweiz. Dass es dabei etwas behäbig und didaktisch herauskommt: geschenkt. Das sind wir gewohnt vom Schweizer Kino. Und ein Film kann ja nichts für die Biederkeit der Zeit und des Milieus, von dem er erzählt. Abgesehen davon: Dass er sich sicher prima als Schulstoff eignet, ist bei diesem Thema nicht das Schlimmste, was man von einem Spielfilm sagen kann.

Wir sind in der Ostschweiz, gedreht wurde in Trogen und Umgebung. Das ist sicher auch kommerzielles Kalkül, weil man weiss: Geschichten aus der ländlichen Schweiz verkaufen sich besser, siehe «Heidi», siehe «Die Herbstzeitlosen». Die Regisseurin und Drehbuchautorin Petra Volpe («Traumland») hat aber auch triftigere Gründe, weshalb sie «Die göttliche Ordnung» in der Provinz spielen lässt. Hier, fernab vom progressiven Geist der Städte, stösst der Kampf für das Frauenstimmrecht auf grösseren Widerstand, erzeugt also mehr dramatische Reibung.

Auch sonst macht Petra Volpe vieles richtig. Um ihre Nora herum fächert sie eine sorgfältig assortierte Galerie von Frauen auf: solche, die aufbegehren, solche, die sich ducken, weil sie es nie anders gelernt haben, oder auch solche, die sich recht bequem eingerichtet haben im Status quo. Da ist etwa Sibylle Brunner als resolute Witwe Vroni, die Nora zur lokalen Galionsfigur im Kampf für das Frauenstimmrecht macht, nachdem sie selber bei der ersten Abstimmung von 1959 noch erbittert dagegen gekämpft hatte (auch wenn sie jetzt gerne das Gegenteil behauptet). Oder Bettina Stucky in einer kleinen Rolle als Arztgattin, die dem Ehemann zuliebe ihr Studium abgebrochen hat. Doch auch die konservative Front wird von einer Frau organisiert: Das ist Therese Affolter als drahtige Dorfkönigin, eine eiserne kleine Lady, die mit ihrem «Aktionskomitee gegen die Verpolitisierung der Frau» vor allem darauf aus ist, ihre eigenen Privilegien zu sichern. (Ein Komitee dieses Namens hat es tatsächlich gegeben.)

Von der Disco zurück ins Säli

Aber weil das Politische ja im Privaten anfängt, begnügt sich der Film nicht mit dem Kampf um Gleichstellung an der Urne. Nachdem sie sich an einer Frauendemo in Zürich vom rebellischen Geist hat anstecken lassen, landet Nora zusammen mit Vroni und ihrer Schwägerin (Rachel Braunschweig) in einem Lustseminar bei einem weiblichen Guru, gespielt vom schwedischen Serienstar Sofia Helin («Die Brücke»). Eine schöne Szene ist das, sie wirkt wie ein Gegenentwurf zum Mackerworkshop mit Tom Cruise in «Magnolia». Die drei Frauen vom Land bekommen einen Crashkurs in Körperpolitik und sollen dann ihre Vagina erkunden, dieses unbekannte Gebiet zwischen ihren Beinen.

Die Befreiung der Pussy als Schlüssel zur politischen Selbstermächtigung: Für einen Moment lässt sich hier auch der Film treiben, die Kamera von Judith Kaufmann taumelt mit Nora in einem dezenten psychedelischen Rausch. Aber nach dem kurzen Trip in der Disco landen wir im voll besetzten Säli im Gasthof zum Bären, wo Nora das Dorf von ihrer Sache überzeugen will. Spott und Feindseligkeit schlagen ihr entgegen, und zu allem Übel hat jetzt auch die beste Armee der Welt ihren dramaturgischen Zweck erfüllt, und der Mann kommt aus dem WK zurück, pünktlich zur öffentlichen Demütigung seiner Frau.

Am Ende hilft nur noch der Streik. Denn auch die Männer, das macht der Film deutlich, sind gefangen im Raster ihrer sozialen Normen. Einer zerbricht daran, andere versuchen, sich in kleinere und grössere Lebenslügen zu retten. Besonders schön zeigt sich die Absurdität dieses Rasters bei Noras beiden Buben, die sonst wie bestellt und nicht abgeholt in diesem Film herumstehen. Als sie nach dem Essen neuerdings Geschirr abtrocknen sollen, sagt einer von ihnen verständnislos: «Aber wir sind Buben.»

Ab 9. März 2017 im Kino. Ab 2. März 2017 Vorpremiere im Zürcher Lunchkino im Arthouse Le Paris.

Die göttliche Ordnung. Regie und Drehbuch: Petra Volpe. Schweiz 2017