Fussball und andere Randsportarten: Virtuelle Grossmachtträume
Etrit Hasler über Managerspiele und den FC Wil
Als letzten Sommer die türkischen Investoren um Murathan Doruk Günal und dessen milliardenschweren Vater Mehmet Nazif Günal den FC Wil übernahmen, stellte ich im Fussballmagazin «Senf» die These auf, dass alle diese Übernahme ganz falsch verstünden. Also nicht nur die Medien, die den leicht türkenfeindlichen Warnfinger erhoben, oder die Fussballliga SFL, die trotz der katastrophalen Erfahrungen mit ausländischen Investoren (zuletzt mit Bulat Tschagajew, der Xamax Neuchâtel in den Abgrund riss) den Verkauf bewilligte, nein, auch die lokalen Fans und Funktionäre, die laut mitklatschten, als SRF-Kommentator Dani Kern von «Champions League» schwadronierte, während er die neue Mannschaft präsentierte.
Meine These war einfach: Im Jahr zuvor war die zuletzt zum Schatten ihrer selbst mutierte PC-Spielereihe «Fifa Manager» endgültig eingestellt worden. Das Spiel hatte bis dahin locker Hunderte von Stunden verschlungen, wenn man da ein unbekanntes Team an die Spitze des europäischen Fussballs bringen wollte – doch dort angekommen, war die Befriedigung überirdisch. Ich erinnere mich an den seligen Zustand, als meine Hellebarden Appenzell im Heimstadion «Landsgmeendplatz» das Champions-League-Final gegen Lazio Rom für sich entscheiden konnten – vor 150 000 Fans. Realistisch war das nicht, aber ich hatte mehr Dopamin intus als die gesamte Stadt Zürich am Streetparade-Wochenende.
Und nun war das plötzlich weg. Hunderte Stunden Freizeit, die es auszufüllen galt. Meine alten SpielerkollegInnen suchten sich neue Beschäftigungen, einer heiratete, einer begann, sich plötzlich «im richtigen Leben» für Fussball zu interessieren, ich begann, Jus zu studieren, ja, ich habe sogar von einem gehört, der sich einen ehrlichen Job gesucht haben soll – aber ist wohl ein Gerücht.
Was das mit Wil zu tun hatte? Nun, ganz einfach: Ich äusserte damals die Vermutung, dass Murathan Doruk Günal einfach passionierter «Fifa Manager»-Spieler war. Und im Unterschied zu uns Normalsterblichen die Möglichkeit hatte, das Spiel in die Wirklichkeit zu übersetzen, indem er sich von seinem Daddy einen Fussballklub kaufen liess – und ein neues Spiel in der Realität startete. Mit dickem finanziellem Anfangspolster von Papa. In einer Gegend, in der man auch ein bisschen sauen konnte, ohne dass zu Hause der Ruf darunter leidet – also einer perfekt integrierten virtuellen Realität.
Achtzehn Monate später ist das Spiel wieder vorbei – und hier liegt nun der Unterschied zwischen dem Computerspiel und der echten Welt. Die PC-Version vergibt Fehler grosszügig, man kann jederzeit einen früheren Spielstand wieder laden – und falls gar nichts mehr geht, startet man eben ein neues Spiel. An einem anderen Ort, mit neuem Geld und ohne Vorbelastung, als hätte es die Vergangenheit nie gegeben. Zumindest diesen letzten Aspekt kann auch die Realität bieten – so wie es die Familie Günal gerade getan hat. Sie ist von heute auf morgen aus Wil verschwunden, und wenn Hobbymanager Murathan eines Tages sein Glück wieder irgendwo auf der Welt versuchen will, sind da bestimmt wieder ein paar Millionen in Papas Portokässeli.
Dass der FC Wil nun am Abgrund steht – wie jeder andere Schweizer Verein (ausser Sion) vor ihm, bei dem sich grössenwahnsinnige Funktionäre mit dem Traum vom grossen Geld haben locken lassen –, mag uns ein müdes «I told you so» entlocken. Es kann uns ja auch egal sein. Niemand braucht den FC Wil. Oder seine dilettantische Führungsriege, die derzeit über «mangelnde Unterstützung von der Stadt» jammert, anstatt sich einzugestehen, dass sie auf Trickbetrüger hereingefallen ist.
Und wer weiss? Vielleicht gibt es ja ein paar ehemalige ComputerspielerInnen, die mit ihrer Freizeit nichts Besseres anzufangen wissen, als selbst ein bisschen zu kicken. Und echten Fussball zu spielen, anstatt sich in virtuellen Grossmachtträumen zu verlieren.
Etrit Hasler war mit «Fifa 04», «07» und «11» mehrfacher Champions-League-Sieger – unter anderem mit dem FC Winterthur, dem SC Brühl, den Hull City Tigers und den erwähnten Hellebarden Appenzell. Im Unterschied zum FC Wil existieren diese Mannschaften auch in ein paar Monaten noch – auf irgendeiner externen Festplatte.