Kongo in der Krise: Das nächste Schicksalsjahr

Nr. 9 –

Die Zukunft der Demokratischen Republik Kongo bleibt ungewiss: Die Sicherheitslage spitzt sich im ganzen Land zu, während der verfassungswidrig weiterregierende Präsident Joseph Kabila auf Zeit spielt.

Auch einen Monat nach seinem Tod bleibt die Leiche des kongolesischen Oppositionspolitikers Étienne Tshisekedi noch immer in Brüssel aufgebahrt. Dort war der 84-Jährige am 1. Februar in einem Krankenhaus an einer Lungenembolie verstorben, und weiterhin ist unklar, wann und wo in der Demokratischen Republik Kongo seine Beerdigung stattfinden soll. Denn diese ist ein Politikum. Schliesslich war Tshisekedi während Jahrzehnten eine Ikone der kongolesischen Opposition. Auch in der gegenwärtigen Staatskrise unter Präsident Joseph Kabila sollte er eine wichtige Rolle auf dem Weg zu friedlichen Präsidentschaftswahlen einnehmen. Nun fürchtet die Regierung aus gutem Grund, dass seine Bestattung zum Anlass für neue Massenproteste werden könnte. Damit halten die politische Ungewissheit und die prekäre Sicherheitslage im riesigen zentralafrikanischen Staat mit fast achtzig Millionen EinwohnerInnen weiter an. Und dessen verschachteltes Machtgefüge birgt eine gewaltige Sprengkraft.

Abkommen in letzter Sekunde

Dabei hatte im Kongo bereits das Jahr 2016 mit einem Showdown geendet. Am 19. Dezember liess Kabila das Ende seiner zweiten und verfassungsgemäss letzten Amtszeit verstreichen, ohne abzutreten. Die Wahl eines Nachfolgers hatte seine Regierung für ungewisse Zeit verschleppt. Was oppositionelle Gruppen zuvor angekündigt hatten, wurde deshalb Tatsache: In mehreren Städten kam es zu grossen und vielerorts gewaltsamen Protesten. Die Sicherheitskräfte gingen mit äusserster Härte gegen die Protestierenden vor, innerhalb von nur zwei Tagen starben Dutzende Menschen. Hunderte weitere wurden verhaftet.

Zu diesem Zeitpunkt versuchte die kongolesische katholische Kirche bereits seit zwei Wochen, zwischen dem Oppositionsbündnis Rassemblement (Zusammenschluss) und Kabilas regierender Alliance pour la majorité présidentielle (AMP, Allianz für die präsidiale Mehrheit) zu vermitteln, doch die Verhandlungen blieben erfolglos. Die Chance auf einen friedlichen Ausweg aus der Krise schien gering; stattdessen drohte sich die Gewaltspirale zu beschleunigen. BeobachterInnen warnten vor dem nahenden Staatszerfall und einem erneuten Krieg, der nicht nur für die Bevölkerung des Kongo verheerende Folgen hätte. Ein Machtvakuum würde sich zwangsläufig auf die Sicherheitslage in der ganzen Region auswirken – und damit auf den halben afrikanischen Kontinent.

Erst in der Neujahrsnacht kam aus der Hauptstadt Kinshasa doch noch die Nachricht, dass eine Vereinbarung zur friedlichen Machtübergabe unterzeichnet worden war. «Wir haben in allen Punkten eine Einigung erzielt», erklärte Marcel Utembi, der Vorsitzende der Bischofskonferenz. Und Justizminister Alexis Thambwe Mwamba bestätigte: «Alles ist besiegelt.» Plötzlich gab es wieder Anlass zur Hoffnung, dass der Kongo erstmals seit der Unabhängigkeit 1960 einen demokratisch legitimierten Machtwechsel erleben würde. Denn das sogenannte Silvesterabkommen enthält eine ganze Reihe teils beachtlicher Übereinkünfte, deren wichtigste lautet: Spätestens bis Ende 2017 soll eine neue Präsidentschaftswahl stattfinden – und Joseph Kabila darf nicht mehr antreten.

Sein Amt wird Kabila bis dahin allerdings behalten. Damit hat er sich ein weiteres Mal Zeit erkauft, die sich für ihn als kostbar erweisen dürfte. Denn der Rassemblement ist ein brüchiger Zusammenschluss ansonsten zerstrittener oppositioneller Parteien. Der Tod von Étienne Tshisekedi setzte das Bündnis am 1. Februar einer schweren Belastungsprobe aus. Als äusserst beliebte Identifikationsfigur der Opposition hätte dieser gemäss Silvesterabkommen nämlich im Amt des Premierministers einen Übergangsrat führen sollen, der ab März für die Organisation der Präsidentschaftswahlen verantwortlich ist. Mit Félix Tshisekedi soll nun ein Sohn des charismatischen Politikers dessen Rolle übernehmen. Dennoch hängt die Umsetzung der Vereinbarung noch immer in der Schwebe.

Kabilas Tricks und Kniffe

Der öffentlichkeitsscheue Kabila lässt sich derweil nicht in die Karten blicken. Offiziell bekannte er sich in der Vergangenheit wiederholt zu seinem verfassungskonformen Amtsende; er wolle einen «demokratischen Prozess als Vermächtnis» hinterlassen, liess einer seiner diplomatischen Berater einmal verlauten. Auch in seiner Neujahrsansprache legte er ein Bekenntnis zur Demokratie ab – ohne allerdings ein einziges Wort über das nur Stunden zuvor unterzeichnete Silvesterabkommen zu verlieren. Der Präsident wird also weiter auf Zeit spielen. Dies tut er bereits seit rund zwei Jahren, mit diversen politischen und bürokratischen Kniffen: etwa durch eine politisch motivierte Neuaufteilung der Wahlprovinzen, die gezielte Destabilisierung der Opposition, das rabiate Vorgehen gegen Aktivistinnen und Politiker oder auch durch die gezielte Unterfinanzierung der Wahlbehörde. Soll Kabilas Abgang also tatsächlich in geordneten Bahnen verlaufen und mittels einer demokratischen Wahl erzwungen werden, wird die Opposition einen langen Atem brauchen.

Ob sich unter diesen Voraussetzungen eine weitere Eskalation der Gewalt verhindern lässt, ist höchst fraglich. Vor allem auch deshalb, weil die politische Opposition und die urbanen Protestbewegungen nicht die einzigen Probleme für Kabila und seine Regierung darstellen.

Abseits der Städte, in den riesigen ländlichen Gebieten, haben die Spannungen ebenfalls zugenommen. Vor allem im Osten, wo seit dem offiziellen Ende des Zweiten Kongokriegs 2003 noch immer bewaffnete Konflikte schwelen, hat die Regierung Schwierigkeiten, ihr Gewaltmonopol durchzusetzen. Allein in den beiden Provinzen Nord- und Südkivu zählte das unabhängige Forschungsprojekt «Congo Research Group» von der New York University im Jahr 2015 über siebzig bewaffnete Gruppen, die in wechselnden Konstellationen um Einfluss, Territorien und Ressourcen rangen. Regelmässig wird auch die Zivilbevölkerung Ziel von Übergriffen der Milizen, vor denen sie weder die kongolesische Armee (Forces Armées de la République Démocratique du Congo, FARDC) noch die seit bald zwei Jahrzehnten existierende Uno-Mission (Monusco) effektiv schützt. Durch die aktuelle politische Unsicherheit haben sich die lokalen Machtkämpfe teils verschärft; einige Milizen sprechen der Regierung in Kinshasa die Legitimität ab. Mehrere Vorfälle in den letzten Monaten lassen befürchten, dass eine anhaltende Gewaltwelle losbricht.

Nicht nur der Osten des Kongo ist davon betroffen, sondern auch Kasaï-Central im zentralen Süden des Landes. Seit August ist dort ein Volksaufstand gegen die staatliche Autorität im Gang. Einen blutigen Höhepunkt erreichte der Konflikt zuletzt Mitte Februar, als Truppen der FARDC in der Stadt Tshimbulu über hundert Menschen töteten – ein Grossteil von ihnen unbewaffnet, darunter Dutzende Frauen und Kinder.

Dieses brutale und unverhältnismässige Vorgehen der FARDC gegen die eigene Bevölkerung bildet aber bei weitem keinen Einzelfall, wie zahlreiche Berichte von Menschrechtsorganisationen bezeugen. In den betroffenen Gebieten werden die FARDC – mit über 140 000 aktiven Angehörigen eine der grössten Armeen Afrikas – deshalb kaum als Garant für Sicherheit und Stabilität wahrgenommen. Und damit auch nicht der kongolesische Staat und die Regierung Kabilas. Allerdings steht nicht nur die Bevölkerung, sondern selbst Präsident Kabila den FARDC mit einem gewissen Argwohn gegenüber. Denn deren Strukturen sind vor allem darauf ausgerichtet, potenzielle politische Rivalen einzubinden und zu begünstigen. Damit bergen sie ein schwer kontrollierbares Eigenleben.

Für einen umstrittenen Machthaber ist das eine gefährliche Ausgangslage. Und niemand weiss das so gut wie Joseph Kabila: 2001, mitten im Zweiten Kongokrieg, erbte er mit nur 29 Jahren das Präsidentenamt von seinem Vater Laurent-Désiré Kabila, nachdem dieser vom eigenen Leibwächter erschossen worden war. Als entsprechend misstrauisch und verschlossen beschreiben BeobachterInnen seither Kabilas Führungsstil, selbst engen MitarbeiterInnen gegenüber. Bei der gewaltsamen Unterdrückung zivilen und politischen Widerstands in den urbanen Zentren baut Kabila denn auch hauptsächlich auf seinen schlagkräftigen Sicherheitsapparat – bestehend aus Nationalpolizei, zivilem Geheimdienst und der persönlichen «Republikanischen Garde» –, den er über Jahre aufgerüstet und in den Schlüsselpositionen mit loyalem Personal bestückt hat.

Der Machtkampf geht weiter

Die fragile Sicherheitslage wird derzeit noch durch eine schlimme Wirtschaftskrise verschärft, in der sich das Land seit einiger Zeit befindet. Mit dem Fall der Rohstoffpreise seit 2015 schrumpften auch die kongolesischen Wachstumszahlen dramatisch, weshalb die Regierung im letzten Jahr ihr laufendes Haushaltsbudget drastisch nach unten korrigieren musste. Von den Folgen ist die gesamte Bevölkerung betroffen, von der ein Grossteil bisher ohnehin kaum vom immensen Rohstoffreichtum des Landes profitiert hat. Flächendeckend wächst entsprechend der Unmut der Menschen: Bei einer Umfrage der Congo Research Group im Oktober sprachen keine zehn Prozent dem schwerreichen Präsidenten ihre Unterstützung zu.

Das hindert Kabila aber nicht daran, sich weiter an sein Amt zu klammern. Der Machtpoker in Kinshasa wird deshalb anhalten. Zwar soll in diesen Tagen die Einsetzung des geplanten Übergangsrats erfolgen, und in manchen Landesteilen ist bereits die aufwendige Registrierung sämtlicher WählerInnen angelaufen. Derweil ist in manchen Landesteilen zwar bereits die aufwendige Registrierung sämtlicher WählerInnen angelaufen. Aber bereits meldete sich Pierre Kangudia, der kongolesische Finanzminister, zu Wort: Dem klammen Staat fehle das Geld, verkündete er, um die gigantischen Kosten für die Organisation der Präsidentschaftswahl in diesem Jahr aufzubringen. Diese beliefen sich auf 1,8 Milliarden US-Dollar – bei einem Staatshaushalt, der 2017 insgesamt lediglich 4,5 Milliarden Dollar betragen wird.

Letztlich ist jetzt schon klar, dass der Fahrplan des Silvesterabkommens in diesem kongolesischen Schicksalsjahr nicht eingehalten wird. Angesichts der drohenden Gewalteskalation muss es allerdings schon als Erfolg gewertet werden, wenn sowohl die Regierung als auch parlamentarische und zivilgesellschaftliche Opposition zumindest vordergründig daran festhalten. So hat das neue kongolesische Schicksalsjahr kaum begonnen, doch bereits zeichnet sich ab, dass das nächste Jahr auch eines wird.