Demokratische Republik Kongo: Und plötzlich steht die Geheimpolizei vor der Tür

Nr. 27 –

Während der kongolesische Präsident Joseph Kabila einfach nicht abtreten will, kämpfen junge AktivistInnen für politischen Wandel – trotz aller Repressionen des Regimes.

Ein Anschluss für jeden gehört zu den Zielen der Lucha-AktivistInnen: Menschen aus der Millionenstadt Goma holen ihr Wasser aus dem Kivusee.

Luc Nkulula sitzt am Ufer des Kivusees im Osten der Demokratischen Republik (DR) Kongo, als er plötzlich ein Lied anstimmt – ein Liebeslied mit dem Titel «Malaika». Nach wenigen Sekunden bricht der junge Jurist ab und erklärt: «Das Lied war früher sehr populär. Wir haben es allerdings umgeschrieben: Anstatt für eine Frau singen wir es für unsere Heimat: ‹Ich liebe dich, Kongo. Ich kann dir nichts bieten, aber ich werde alles für dich tun.›»

«Wir», das sind die AktivistInnen der kongolesischen Bewegung Lucha. Die Abkürzung steht für «Lutte pour le changement» (Kampf für die Veränderung). Nkulula setzt noch einmal ein, mit dem veränderten Text auf Suaheli. Die Liebeserklärung an den Kongo ist ernst gemeint – was keineswegs selbstverständlich ist. «Der kongolesische Staat hat mir noch nie irgendetwas bezahlt, er hat mir nie einen Gefallen getan», sagt der 32-Jährige. «Es ist kaum zu verstehen, dass sich junge Menschen für dieses Land einsetzen, obwohl ihre Regierung fast nichts für sie getan hat.»

Die Gewalt eskaliert

Trotzdem tun Nkulula und die anderen Lucha-AktivistInnen genau das: Sie kämpfen für politische Veränderungen im Kongo, lassen sich für ihr Engagement in Gefängnisse werfen, in denen man kaum Platz zum Sitzen hat und eine Pritsche nur bekommt, wer die Wärter schmiert. Auch Nkulula sass schon hinter Gittern. Warum er das alles auf sich nimmt? «Vielleicht wollen wir nicht, dass künftige Generationen dasselbe durchmachen müssen wie wir. Das war so schmerzhaft, dass wir das keinem anderen wünschen.»

Seit Monaten häufen sich die Proteste im Kongo, weil Präsident Joseph Kabila mit allen Mitteln versucht, sich an der Macht zu halten. Sein Mandat lief im Dezember 2016 aus, spätestens Ende November hätte gewählt werden müssen. Kabila darf laut Verfassung nicht noch einmal antreten. Schnell aber war klar, dass die Regierung die Wahlen verschieben würde. Seitdem eskaliert die Gewalt.

Die Proteste erfassen immer weitere Teile des riesigen Landes. In der Provinz Zentral-Kasaï spitzt sich die Lage zu. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen wurden im Zentrum der DR Kongo in den vergangenen Monaten Hunderte Menschen getötet und über eine Million vertrieben. Der Uno-Menschenrechtsbeauftragte Seid Ra’ad al-Hussein hat den Uno-Menschenrechtsrat aufgefordert, die Menschenrechtsverletzungen im Kongo zu untersuchen, darunter Massenhinrichtungen, den Missbrauch von Kindern als Soldaten und sexuelle Gewalt.

Im März wurden darüber hinaus 39 kongolesische Polizisten in einem Hinterhalt getötet. Ebenfalls in Zentral-Kasaï wurden Mitte März zwei Mitarbeiter der Uno entführt, ihre Leichen wurden zwei Wochen später gefunden.

In den vergangenen Wochen haben die Uno-MitarbeiterInnen ausserdem 42 Massengräber entdeckt, doch die Regierung verhindert eine Untersuchung der dahintersteckenden Verbrechen. Laut den Vereinten Nationen ist die Zahl der Menschenrechtsverletzungen 2016 im Vergleich zum Vorjahr um dreissig Prozent gestiegen. Zwei Drittel dieser Verbrechen werden demnach von staatlichen Sicherheitsorganen begangen, nur ein Drittel von Rebellen und Milizen. Die Konflikte in Zentral-Kasaï und in anderen Provinzen haben lokale Ursachen, verschärfen sich aber wegen des allgemeinen Unmuts über die politische Lage.

Gegen all diese Missstände kämpfen die Lucha-AktivistInnen – und zwar ausschliesslich mit friedlichen Mitteln. Gewalt habe das Elend der Bevölkerung stets nur verschärft, sagen sie. «Ich würde wirklich gerne erleben, dass unsere Justiz eines Tages denjenigen, die ihrer Rechtsprechung unterworfen sind, tatsächlich Gerechtigkeit widerfahren lässt», sagt Nkulula. «Und eines Tages möchte ich sehen, dass die Kongolesen mit Würde behandelt werden.» Heute dagegen habe die Bevölkerung weder Wasser noch Strom, selbst wenn sie für die Anschlüsse bezahle. «Wer Wasser und Strom haben will, muss zusätzlich die Agenten der staatlichen Wasser- und Elektrizitätswerke schmieren. Das ist unwürdig, aberwitzig und ermüdend.»

Mehrfach inhaftiert

Eine der ersten Aktionen von Lucha war im Jahr 2012 eine Kampagne für sauberes Trinkwasser in Goma. Mit Demonstrationen, Sit-ins, Informationsveranstaltungen oder Kampagnen in den sozialen Medien mobilisieren die AktivistInnen gegen Missstände. Lucha fordert so etwa einen Wasseranschluss für jeden Haushalt, bessere Strassen und die von der Verfassung garantierte unentgeltliche Grundschulbildung. Auch für mehr Arbeitsplätze gerade für junge KongolesInnen setzt sich die Bewegung ein: Denn selbst gut ausgebildete Menschen finden im Kongo keine Stelle, die meisten wursteln sich irgendwie durch. Seit dem vergangenen Jahr steht der Widerstand gegen Kabilas verfassungswidrig verlängerte Amtszeit im Vordergrund.

Viele Lucha-Mitglieder sind schon mehrfach inhaftiert worden. Fünfmal sass etwa der Mediziner Serge Kambale ein. Er spricht davon ohne Verbitterung, während er die Narben an seinen Oberarmen zeigt – Überbleibsel der brutalen Fesselung durch die Geheimpolizei. Das bislang letzte Mal wurde Kambale im Februar 2016 mit fünf weiteren Lucha-Mitgliedern verhaftet. Mit dabei war damals auch die 23-jährige Rebecca Kavugho, die Ende März mit dem US-amerikanischen Internationalen Preis für Frauen mit Mut ausgezeichnet wurde. Auch sie wurde schon mehrmals inhaftiert.

Die Bevölkerung hat längst resigniert

Kavugho kommt für das Interview aus dem Lesesaal einer protestantischen Universität in Goma, die Psychologiestudentin bereitet sich gerade auf eine Prüfung vor. Sie trägt ein weisses Shirt mit der grünen Aufschrift «Lucha», was nicht ohne Risiko ist. Doch Kavugho sagt, sie sei entschlossener als jemals zuvor. Und dass dies vor allem das Ergebnis der sechsmonatigen Haft sei, nach ihrer Festnahme im Februar 2016.

Sie seien gerade dabei gewesen, eine Demonstration vorzubereiten und Transparente zu malen, erzählt Kavugho. Um vier Uhr morgens kam die Geheimpolizei und nahm die sechs AktivistInnen mit. Wenige Tage nach ihrer Festnahme verurteilte ein Gericht sie zu zwei Jahren Haft: Sie hätten versucht, zu öffentlichem Ungehorsam aufzuhetzen. Nach einem halben Jahr begnadigte Kabila die Lucha-AktivistInnen. Doch die weigerten sich, das Gefängnis zu verlassen: Die Begnadigung zeige allein, wie willkürlich im Kongo mit der Gerechtigkeit verfahren werde. Sie wurden schliesslich sechs Monate später mit Polizeigewalt aus dem Gefängnis entfernt.

Rebecca Kavugho, Lucha-Aktivistin.

Die Lucha-AktivistInnen haben nicht nur mit den Repressionen zu kämpfen. Noch schlimmer sei die Resignation der Bevölkerung: Viele glauben nicht mehr daran, dass sich an den Verhältnissen im Land etwas ändern könnte. «Hätten unsere Eltern sich schon aufgelehnt, könnte meine Generation heute ein normales Leben führen», sagt Kavugho. «Stattdessen müssen wir als Aktivisten jederzeit mit einer erneuten Verhaftung, einer Entführung oder sogar dem Tod rechnen.» – «Dieses Land gehört uns allen», ergänzt Kambale. «Wir sind für unser persönliches Schicksal selbst verantwortlich. Und wir können auch die Zukunft des Kongo beeinflussen.»