Korea: Kalter Krieg auf der Halbinsel
Die Stationierung eines US-Raketenabwehrsystems schürt die Staatskrise in Südkorea – und provoziert tiefes Unbehagen in Pjöngjang wie in Beijing.
In den vergangenen Wochen ist die politische Führung Nordkoreas gleich mehrfach in den Fokus der internationalen Aufmerksamkeit gerückt. Am 12. Februar testete das Land erfolgreich eine Mittelstreckenrakete. Am 13. Februar kam Kim Jong Nam, der ältere Halbbruder von Diktator Kim Jong Un, unter bislang noch nicht genau geklärten Umständen in der malaysischen Hauptstadt Kuala Lumpur ums Leben.
Als Reaktion auf Pjöngjangs erfolgreichen Start der Mittelstreckenrakete entschloss sich Ende Februar Beijing, der engste Verbündete Nordkoreas, vorerst keine weiteren Kohlelieferungen aus dem Land zu beziehen. Und am Montag vergangener Woche feuerte Pjöngjang zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit vier Raketen ab, die allesamt nach einem rund tausend Kilometer langen Flug ins Ostmeer (von Japan als Japanisches Meer bezeichnet) stürzten.
So reagierte Pjöngjang auf seine Weise auf das Militärmanöver «Foal Eagle» (Fohlen-Adler) der US-amerikanischen und südkoreanischen Streitkräfte, das bis Ende April dauern soll. Diese alljährliche Militärübung erregt von jeher den Zorn Pjöngjangs. Die Manöver zielen darauf ab, Landungen im Norden der Halbinsel und einen gewaltsamen Regimewechsel zu simulieren. In Südkorea selbst sind noch immer gut 28 000 GIs stationiert.
Unmut in der Bevölkerung
Als Reaktion auf Nordkoreas Raketenabschuss begannen die USA damit, erste Bauteile ihres Raketenabwehrsystems Thaad (Terminal High Altitude Area Defense) in Seongju in der Provinz Nord-Gyeongsang südöstlich der Hauptstadt Seoul zu installieren. Dies stösst dort auf grossen Unmut in der Bevölkerung: Die Menschen befürchten, dass radioaktive Strahlung ihre Gesundheit und die landwirtschaftliche Produktion – in diesem Gebiet werden vor allem Melonen angebaut – beeinträchtigen könnte.
Letztlich war diese Entwicklung auch eine herbe Schlappe für die am vergangenen Freitag wegen eines Korruptionsskandals ihres Amts enthobene Präsidentin Park Geun Hye. Park habe «in ihrer Zeit als Präsidentin gegen die Verfassung und gegen geltendes Recht verstossen», erklärte die Vorsitzende Richterin des Verfassungsgerichts, Lee Jung Mi, in der Urteilsverkündung. Zunächst stand Park der Installierung eines Thaad-Systems mit Rücksicht auf den wichtigen Handelspartner im Norden, der Volksrepublik China, skeptisch gegenüber. Da Nordkorea jedoch an seinem Nuklear- und Raketenprogramm festhielt, wechselte die Präsidentin abrupt den Kurs. Thaad, so hatte sie vor Beginn des Amtsenthebungsverfahrens gegen sie im Dezember betont, sei unabdingbar für die Sicherheit des Landes.
Genau das sieht die Opposition anders. Am Dienstag vergangener Woche hatte der ehemalige Vorsitzende der Demokratischen Partei von Korea (DPK), Moon Jae In, die Regierung wegen der begonnenen Stationierung von Thaad scharf kritisiert: «Ich verstehe nicht, warum die Regierung so überstürzt handelte.» Der Oppositionsführer hat die besten Chancen, die Expräsidentin bei der vorgezogenen Präsidentschaftswahl im Mai zu beerben. Moon ist auch ein erklärter Gegner der Raketenstationierung, weil diese das enge politische und wirtschaftliche Verhältnis zu China trübe und eine Annäherung an Nordkorea erschwere.
Kritik am Lotte-Konzern
Offiziell soll Thaad einen «Schild» gegen potenzielle Angriffe aus dem Norden bilden. Aus Beijings wie auch aus Moskaus Perspektive gilt das System hingegen als «Vorwärtsverteidigung» der USA, weil es Washington gestatte, mittels eines hoch entwickelten Radars weit in chinesisches Gebiet sowie in die Fernostregion Russlands hineinzublicken. Beijings Kritik richtet sich vor allem gegen den Lotte-Konzern, der einen seiner Golfplätze in Seongju für die Installierung von Thaad zur Verfügung stellte. Lotte ist ein multinationaler Mischkonzern, der 1948 in Tokio vom Koreaner Shin Kyuk Ho gegründet worden war und inzwischen in den diversesten Sparten – von der Chemie- bis zur Tourismusindustrie – tätig ist. Zurzeit beschäftigt die Lotte-Gruppe rund 60 000 MitarbeiterInnen, davon über 56 000 allein in Südkorea.
Ein Milliardenbauprojekt von Lotte hat China in seiner nordöstlichen Provinz Shenyang bereits gestoppt. Selbst zivile Gruppen rufen in China zum Boykott von Lotte-Produkten auf und raten chinesischen TouristInnen, nicht in den zollfreien Einkaufszentren des Konzerns zu shoppen. Insgesamt, schätzt Jang Woo Ae vom Wirtschaftsforschungsinstitut der Industrial Bank of Korea, könnte Thaad die südkoreanische Wirtschaft umgerechnet bis zu knapp fünfzehn Milliarden US-Dollar kosten – von den diplomatischen Verstimmungen ganz zu schweigen.