Von oben herab: Linker Ellbogen

Nr. 13 –

Stefan Gärtner über die Aufwertung in Zürich und anderswo

In der Beiratssitzung des Kindergartens fehlte ein Beisitzer, und ob ich Zeit hätte; und das ist ja nun sozusagen meine Achillesferse, dass ich meistens Zeit habe. Am späteren Nachmittag gab es dann Kaffee und Kekse und allerhand Zahlen, und ich lächelte freundlich und hörte nicht hin.

Dann aber doch, denn die Akademikerquote im kommenden Betriebsjahr betrage siebzig Prozent, und das sei neu und nun der Trend. Im Kindergarten bemühen sie sich ausdrücklich um soziale Nichtsegregation; aber was sollen sie machen? Das Quartier ist bei Studenten und Studentinnen beliebt, und haben die mal fertig studiert, dann bleiben sie. Und wenn auch nicht jeder Student mal reich wird, so wird er doch eine Akademikerin (oder einen Akademiker) heiraten, und mit einem akademischen Doppeleinkommen ist im Schnitt dann doch mehr auszurichten als mit einem aus Mechatronik und Supermarktkasse. Der Rest ist Angebot und Nachfrage, und daran ändert auch die deutsche Mietpreisbremse nichts, die – sofern sich überhaupt wer traut, sie geltend zu machen – den Anstieg einer Miete lediglich begrenzt, aber keinesfalls beendet.

Was für meine Provinzhauptstadt gilt, gilt für Zürich erst recht. «Seit Links-Grün Zürich regiert», berichtet der «Tages-Anzeiger», «zieht es Reiche und Gutausgebildete an.» Deren Anteil hat sich von einem Drittel auf die Hälfte der Bevölkerung erhöht, und das Angebot an Wohnraum hat, Überraschung, der neuen Nachfrage keinesfalls standgehalten: «Zahlreiche Ärmere aber mussten die Stadt verlassen. Mit dem Einkommen der Bewohner steigen auch die Mieten, die sich heute viele nicht mehr leisten können. In städtischen Umfragen drücken jeweils ‹ältere Personen, Nichterwerbstätige und Einkommensschwächere› ihr Unbehagen aus. Zürich entwickelt sich zur Stadt der Gewinner, die alle anderen rausellbögeln – selbst wenn die Gewinner links wählen und das gar nicht wollen.»

Und das ist halt die Sache mit dem Linkswählen: dass es heute meist die tun, für die links zu sein keine existenzielle Sache ist, sondern eine des guten Willens, dümmerenfalls eine des Lifestyles. Wo Kapitalismus gilt und also das Recht des Stärkeren, kann links in praxi nie mehr sein als Sozialdemokratie; allora: «Die Verdrängten landen oft in der Agglomeration. Dort beklagen sich die Menschen laut einer kürzlich erschienenen Studie über Probleme, die einst als typisch städtisch galten: Kriminalität, eine steigende Sozialhilfequote. Im Gewinner-Zürich klingen solche Sorgen irgendwie retro, sie kümmern kaum noch jemanden» (ebd.).

Freilich kann man Mieten deckeln, aber solange Politik (und auch sozialdemokratische) rundum die des Besitzes ist, wird sie schon dafür Sorge tragen, dass der Deckel da nicht allzu fest sitzt. Also wird Zürich, die «Streberstadt» («Tagi»), sich ein Beispiel am sozial gesäuberten München nehmen, nach dessen Besuch ich einmal den Einfall notierte, «aufs Land zu ziehen und die ganzen Herrschaften in ihren Altbauten und Szenevierteln verrotten zu lassen. Sollen sie doch unter sich bleiben und sich in ihren scheiss Kreativ-Eliteschulen die Ellbogen ins Gesicht drücken, im Café für den Cappuccino sechs Euro bezahlen und für einen Trendkinderwagen tausend, das geht dann voll in Ordnung und mich nichts mehr an.»

Denn zwar bin ich Gewinner. Aber ich will nicht, nach Hebbel, bloss mit den Dummen karteln, die immer nur Trümpfe haben.

Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.