Von oben herab: Wie es ist

Nr. 9 –

Stefan Gärtner über eine lehrreiche Hochzeit

Das beinah Unvergesslichste an meiner Hochzeit waren die Recherchen, was eine Hochzeit eigentlich kostet, denn schnell gelangte ich in Netzforen, in denen sich junge Damen – tut mir leid, aber da war frau unter sich – ihre Schönster-Tag-des-Lebens-Träume um die Ohren hauten und an Kernfragen wie «Einladung auf Büttenpapier?» und «Lieber weisse Tauben oder lieber Kutsche?» nicht lang zu knabbern hatten. Denn die Faustregel lautete: Alles kann und alles muss, und maximal mittlere Angestellte waren sich darüber einig, dass einmal heiraten leicht 20 000 oder sogar 30 000 Euro kosten könne; und natürlich unbedingt dürfe.

Wer geheiratet hat, weiss, dass der Tag vor allem eins ist: anstrengend, und dass es wie fast immer im Leben ist: Weniger Kitsch ist besser als mehr Kitsch, und wenn es zu essen gibt und gute Musik und sowohl auf Diavorträge als auch auf Hochzeitsspiele verzichtet wird, hat man vielleicht nicht den schönsten Tag seines Lebens gehabt, aber jedenfalls einen schönen, der darum kein Jahresgehalt kosten muss. Und die Hälfte auch nicht.

Das gilt auch dann, wenn man etwa der reichsten Industriellenfamilie Indiens entstammt oder die Tochter eines Diamantenunternehmers ist und einander ehelichen will, denn selbst in diesen Kreisen hat man Mühe, einen Polterabend eine Milliarde kosten zu lassen. Also waren es vom 23. bis 25. Februar allenfalls und laut indischen Medien «vier bis sechs Millionen Franken» (20min.ch), die Akash Ambani und Shloka Mehta in St. Moritz liessen, wohin sie 850 Gäste aus aller Welt «mit zwei exklusiv gecharterten Fliegern» hatten bringen lassen – kleiner Tipp, 20min.ch: Ein Charterflieger ist immer exklusiv gechartert, sonst wäre er ein Linienflieger. Aber wie immer in unserer Neidgesellschaft waren «nicht alle in Feierlaune» («Tages-Anzeiger»), nur weil die sechzig Meter lange, dreissig Meter breite und achtzehn Meter hohe «Eventhalle» (ebd.) drei Tage lang die Sicht auf den See versperrte und die Behörden, die auf eine Volksabstimmung verzichtet hatten, sich dann eben «mangelnde Kommunikation» vorwerfen liessen. Zum Wohle allerdings des Ganzen, und Gemeindepräsident Christian Jott Jenny machte gegenüber «20 Minuten» geltend, «dass genau solch exklusive Anlässe den Ort weiterbrächten. ‹Unsere Positionierung für St. Moritz lautet ,extravagant’, also müssen wir auch extravagant sein›, so der Gemeindepräsident» mit dem deshalb auch extravaganten Zweitnamen.

Die indischen Medien sollen die Vorbereitungen seit Wochen verfolgt haben, obwohl ein Polterabend für 850 Reiche und sechs Millionen nicht einmal in die Nähe eines Obszönitätsrekords gelangt: Als Jennifer Lopez gebären sollte, mietete sie zur Niederkunft für 700 000 Dollar die Luxussuite der Klinik, liess die Schwestern ganz in Pink einkleiden und sich selbst ein Designergeburtskleid anfertigen. Als die Zwillinge dann draussen waren, bekamen sie u. a. diamantenbesetzte Rasseln und lagen auf Babydecken für 25 000 Dollar. Dagegen sind die indischen Polterabende von St. Moritz der Inbegriff von Vernunft, und wenn ich über eine neue «Hochbegabtenklasse» an einem staatlichen Gymnasium im Münchner Umland lese, in der Kinder, die sich letztlich alles selbst beibringen, in einer extrakleinen Klasse mit jenem Extrapersonal verwöhnt werden, das sonst flächendeckend fehlt, weiss ich auch, warum indische (und andere) Medien Reichenhochzeiten in den Schweizer Bergen verfolgen: weil die gesellschaftliche Zentralparole lautet, dass es der HErr den Seinen gibt. Und wenn wir in Thorstein Veblens «Theorie der feinen Leute» den «demonstrativen Konsum» nachschlagen, stolpern wir gleich über folgenden Satz: «Die Dinge gefallen uns nämlich nur deshalb, weil wir gelernt haben, dass sie so sein müssen, wie sie sind.»

Und lebenslanges Lernen, wer wäre nicht dafür?

Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er jede zweite Woche das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.