Hanspeter Guggenbühl (1949–2021): Er lebte vor, was er sinnvoll fand

Nr. 23 –

Beeindruckender Umweltexperte, Zahlenfan und Sturkopf: Auf einer seiner geliebten Velotouren ist der Journalist und WOZ-Autor Hanspeter Guggenbühl ums Leben gekommen.

Hanspeter Guggenbühl Foto: Ursula Häne

Am 26. Mai war ein junger Töfffahrer oberhalb von Aigle unterwegs. Er überholte ein anderes Motorrad, streifte es, geriet auf die Gegenfahrbahn und krachte in einen Velofahrer, der ihm entgegenkam. Der Velofahrer starb noch am Unfallort. Es war Hanspeter Guggenbühl, einer der profiliertesten Umweltjournalisten der Schweiz. Er wurde 72 Jahre alt.

Hanspeter war ein Nerd, bevor das jemand so nannte. Er recherchierte genüsslich Zahlen, kannte die Gesetzestexte in der Energie- und Verkehrspolitik im Detail, ohne dabei die grossen politischen Fragen aus den Augen zu verlieren. Spöttisch und bissig habe er sein können, auch Freunden und Freundinnen gegenüber unbequem – aber nie zynisch, sagt ein langjähriger Freund, der ehemalige Zürcher SP-Politiker Hans Steiger.

Seit Mitte der siebziger Jahre arbeitete Hanspeter als freier Journalist für diverse kleine und grosse Deutschschweizer Zeitungen. Er spezialisierte sich bald auf Umweltthemen. In der WOZ brachte er oft jene Artikel unter, die für andere Medien zu pointiert waren, etwa einen Text über die als Journalismus getarnte Werbung auf den Autoseiten fast aller Zeitungen (siehe WOZ Nr. 25/2018 ). Er schrieb mehrere Bücher, zuletzt «Energiewende. Und wie sie gelingen kann». 2012 wählten ihn die LeserInnen des «Schweizer Journalisten» zum Wissenschaftsjournalisten des Jahres.

Mit der Fusionspolitik der grossen Medienhäuser brach sein Arbeitsmodell langsam weg; nach einem Konflikt mit der «Luzerner Zeitung» liess ihn die NZZ ab 2017 in keinem ihrer Regionalblätter mehr publizieren. In den letzten Jahren schrieb Hanspeter vor allem für den «Infosperber». Dabei blieb er auch dem eigenen Umfeld gegenüber kritisch: Eine seiner letzten Recherchen handelte vom Geschäftsführer des Lobbyverbands Velosuisse, der in der NZZ über Velos schreibt, ohne dass seine Interessenbindung transparent gemacht wird: «In geschonten Räumen fällt es leichter, Prinzipien zu verletzen, Regeln zu brechen.» Davon zeuge «die starke Verflechtung von grünem Kommerz und gutmeinendem Journalismus in der Velobranche oder auch im Bereich der erneuerbaren Energie».

Vielleicht war es seine Liebe zu den Zahlen, die ihn gepackt hatte, als er sich entschloss, Ecopop zu unterstützen: die Initiative, die mit ökologischen Argumenten die Zuwanderung in die Schweiz beschränken und in der Entwicklungszusammenarbeit die Familienplanung forcieren wollte. «Die Belastung der Natur wird von drei Faktoren bestimmt: erstens vom Konsum pro Kopf, zweitens vom Ressourcenverbrauch pro Konsumeinheit und drittens von der Zahl der Köpfe», sagte er 2012 in einem WOZ-Streitgespräch (siehe WOZ Nr. 42/2012 ). Die Kritik am Bevölkerungswachstum sei immer Teil von Guggenbühls Wachstumskritik gewesen, sagt Hans Steiger. Rassistisch argumentierte Hanspeter aber nie, und er wehrte sich auch gegen autoritäre Familienplanungsideen mancher Ecopop-BefürworterInnen: Niemand dürfe bestimmen, wie viele Kinder jemand haben solle.

Entscheidend sind Strukturen und politische Weichenstellungen, nicht der Konsum der Einzelnen: Das war für Hanspeter Guggenbühl immer klar. Es hinderte ihn aber nicht daran, selbst vorzuleben, was er sinnvoll fand: Im Haushalt kam er mit einem Drittel des durchschnittlich verbrauchten Stroms aus, und um vorwärtszukommen, nutzte er wo immer möglich das Velo. Über die Umweltpolitik machte er sich keine Illusionen: «Die zentrale Frage für unsere Menschheit müsste lauten, wie eine Welt ohne Wirtschaftswachstum funktionieren kann», sagte er in einem Interview mit Pro Natura vor den Wahlen 2019. «Doch die Zwänge des Wirtschaftssystems sind viel stärker als die Einflüsse der Politik.» Resignieren wollte er deshalb aber nicht: «Innerhalb dieser Grenzen soll man trotzdem eine engagierte Politik betreiben und erreichen, was möglich ist.»

Ausgerechnet der Tod dieses Mannes, der so fundiert wie kaum jemand über den motorisierten Verkehr herziehen konnte, erinnert daran, dass Motorfahrzeuge tödliche Waffen sind. Es ist traurig.