Medientagebuch: Selbstständig, aber arm
Sina Bühler über freie JournalistInnen und ihren Lohn.
2001 starb der St. Galler Journalist Louis Mettler. Er war 45 Jahre alt. Ich hatte ihn öfter getroffen, als ich beim «St. Galler Tagblatt» Praktikantin war. Wir besuchten beide jene Anlässe, die grosskotzig «Pressekonferenz» genannt wurden, in Wirklichkeit aber eine Geschäftseröffnung in der Vorstadt maskierten. Oder wir sassen mit dem Notizblock an der Generalversammlung einer Raiffeisenbank. Standen in der Menge, wenn die Weihnachtstanne per Helikopter über das Kloster geflogen wurde. Ich als Neuling sollte so das Metier lernen. Mettler schrieb sich als Freier den Rest des Monatshonorars zusammen. Nach 1998 hatte er viel weniger zu tun: Die St. Galler Zeitung «Ostschweiz» gab es nicht mehr, und das «Tagblatt» schluckte gerade auch die übrigen Regionalzeitungen. Danach reichte eine Journalistin pro «Pressekonferenz». Das war meist die Praktikantin.
Der Nachruf, der nach Mettlers Tod im Ostschweizer Kulturmagazin «Saiten» erschien, ist mir in den letzten zwölf Jahren nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Michael Walther, selbst freier Journalist, schrieb über seinen Kollegen: «Louis Mettler war einer der besten Ostschweizer Journalisten.» Und dann: «Nur leben konnte er davon nicht.» Im letzten Jahr seines Lebens seien es höchstens 20 000 Franken gewesen, zu wenig für eine Familie.
Ich weiss seither, dass ich niemals eine freie Journalistin werden will. Allerdings musste ich mir diese Einsicht im Berufsleben einige Male vor Augen halten: Als ich arbeitslos wurde zum Beispiel. Jedes Mal, wenn mich die Arbeit am Pult nervte. Bei Streit mit den KollegInnen. Vor allem aber, wenn ich dann doch einmal einen freien Auftrag annahm, der spannend, neu oder einfach schön zu schreiben war. Bewusst einen Job zu wählen, um «nicht davon leben zu können», das war nichts für mich.
Wie jede Redaktorin weiss ich aber: Ohne freie JournalistInnen würde keine Zeitung gemacht. Und die meisten RedaktorInnen wissen, dass die Honorare, die sie dafür zahlen, unter allen Anstand gerutscht sind. Die Extrembeispiele, die bei der JournalistInnengewerkschaft Syndicom und dem Berufsverband Impressum landeten: Bei der «Neuen Luzerner Zeitung» im Lokalressort gibt es 120 Franken pro Tag. 250 Franken für zwei Tage Arbeit zahlt die «Südostschweiz» im Kulturressort. 300 Franken gibt es für drei Tage Arbeit im Ressort Wissen der «NZZ am Sonntag». 20 Franken pro Stunde bekommt man beim «St. Galler Tagblatt». Zu Louis Mettlers Zeiten (und bis 2004) galt noch der Pressegesamtarbeitsvertrag: Für die Region St. Gallen sah er 436 Franken am Tag vor, 54.50 Franken die Stunde. Theoretisch. Faktisch akzeptierten die Freien, was ihnen angeboten wurde.
Ist es ein Fehler, dass beim Reden über Journalismus immer das Geld im Mittelpunkt steht? Geht dabei nicht vergessen, dass es unglaublich gute JournalistInnen gibt, die sehr gerne selbstständig und unabhängig arbeiten? Die das präziser, ideenreicher und unabhängiger als viele Redaktionsmitglieder tun? Wahrscheinlich. Vielleicht kann die Frage von den Betroffenen selbst geklärt werden: Am 20. April organisiert die Gewerkschaft Syndicom in Bern den 1. Schweizerischen Selbständigerwerbenden-Kongress. Eingeladen sind Selbstständige und Freelancer aller Branchen: von der Logistik über Callcenter zu Buchhandel, Grafik und Journalismus. Die Tagung trägt den Titel «Führt Selbständigkeit ins Prekariat?» und ist öffentlich. Zu hoffen, dass dabei mehr Gemeinsamkeit als nur das Elend gefunden wird.
Sina Bühler ist Redaktorin bei «Work» und gehört dem Vorstand der JournalistInnen in der Gewerkschaft Syndicom an. Für dieses Medientagebuch erhält sie 160 Franken Honorar.