Auf allen Kanälen: Journalismus als Geschäftsrisiko

Nr. 15 –

Ringier setzt voll aufs digitale Geschäft. Das zeigt sich auch im «Blick», der zunehmend wie ein ausgedrucktes Internet wirkt.

Jetzt aber aufgepasst, Ringier-Chef Marc Walder wittert Gefahr: «Eine zu grosse wirtschaftliche Abhängigkeit vom Journalismus ist lebensgefährlich.» So warnte Walder nach der diesjährigen Bilanzpressekonferenz. Journalismus bringt kein Geld, also weg damit. Risiko minimieren, Titel schliessen, abstossen oder auslagern.

Gesagt, getan: «L’Hebdo» musste jüngst dichtmachen, und bis auf die «Blick»-Gruppe hat Ringier in der Schweiz alles, was irgendwie nach Journalismus aussieht, in ein Joint Venture mit Axel Springer ausgelagert. Geteiltes Risiko ist halbes Risiko. «Schweizer Illustrierte», «Glückspost», «Bolero», «Landliebe» und wie sie alle heissen, verliessen dieser Tage den Ringier-Stammsitz an der Dufourstrasse im Seefeld und zogen in einen Neubau in Zürichs Westen, zusammen mit «Handelszeitung», «Bilanz», «Beobachter» & Co. von Axel Springer.

«Schweizer Illustrierte» und «Glückspost» zählten immerhin zum Ringier-Tafelsilber, und die «Landliebe» entwickelte sich zur Erfolgsgeschichte in für gedruckte Medien nicht eben günstigen Zeiten.

Stellen, Immobilien, Autos

Aber in diesen Tagen schützen selbst Tradition und Leistung nicht mehr vor drastischen Schritten. Das Unternehmen Ringier hat sich in den letzten Jahren derart stark verändert, dass die mehr als hundertjährigen Heftli, die aufs Engste mit Ringier verbunden waren, nicht mehr zum unveräusserlichen Markenkern zählen. Marc Walder trimmt das Unternehmen auf total digital.

Anstatt sich zur historischen DNA des Hauses zu bekennen und zum Willen, dem Journalismus auch in schwierigen Zeiten eine Perspektive zu geben, gilt dieser jetzt als Geschäftsrisiko. Publizistik spielt dann noch eine Rolle, wenn sie als verlässliche Erfüllungsgehilfin das Onlinegeschäft in Gang hält, etwa als Umfeld für Werbung. Die Zukunft sieht Ringier dagegen in einem Geflecht aller Gattungen digitaler Geschäfte. Gegenwärtig am einträglichsten entwickeln sich die Anzeigenplattformen für Stellen, Immobilien oder Autos. Das sei «der wichtigste Treiber unseres operativen Gewinns», sagte Marc Walder gegenüber der NZZ.

Print muss sich beweisen

Der frühere People- und Boulevardjournalist und aktuelle Ringier-Chef entwickelte sich zum Digitalguru mit Führungsanspruch für die ganze Schweiz. Als Gründer der Initiative Digitalswitzerland betrachtet er es als seine Mission, die Schweiz in eine wie auch immer geartete digitale Zukunft zu führen. Im Schlepptau von Digitalturbo Walder folgen VertreterInnen von UBS, Wef und SBB, aber auch von NZZ und Tamedia, von Bundesverwaltung und Hochschulen. Das ist die Welt von Walder. Der «Blick» rapportiert derweil fleissig, was der Chef so macht, wenn er die digitale Schweiz voranbringt. Auf Papier gedruckt, interessiert das immer weniger Leute, aber immerhin noch eine halbe Million LeserInnen. Das ist zwar viel weniger als «20 Minuten» mit 1,3 Millionen, aber der «Blick» ist auch nicht gratis. Die LeserInnen zahlen für Journalismus.

Die neue «Blick»-Führung um Christian Dorer versucht, sich mit einer eigenwilligen Themensetzung dem Publikum aufzudrängen. So auch mit der Kampagne für ein Nein zum Verfassungsreferendum in der Türkei. Über einen solchen Aufruf berichten die Medien, im In- und im Ausland. Mit der Ambivalenz der Botschaft erreicht man zudem breite Publikumskreise: Dem Aufruf für ein Nein können alle zustimmen. Der Zusatz «und wer nicht Nein stimmt, fliegt raus» bedient dagegen rassistische Ressentiments und erreicht jene, die sich mehr um die Schweiz sorgen als um die Türkei.

Der tägliche gedruckte «Blick», immerhin das Herzstück der stetig gewachsenen Zeitungsgruppe, bemüht sich nach Kräften, seine Existenzberechtigung unter Beweis zu stellen. Das gelingt ihm insofern ganz gut, als er einen thematischen und formalen Mix bietet, der sehr stark an das Durcheinander aus dem Internet gemahnt. Man switcht bei «Blick» sehr leicht vom Bundeshaus auf die Seychellen. Mehr digital geht eigentlich nicht. Bei Ringier geht das sogar auf Papier.

Nick Lüthi ist Redaktor bei der «Medienwoche».