Doris Stauffer (1934–2017): «wenn die mond aufgeht, geht der sonne unter»

Nr. 18 –

Feministin, Künstlerin, Hexenkursleiterin und Mitbegründerin der Kunstschule F + F in Zürich: Doris Stauffer ist unerwartet bei sich zu Hause im Beisein von zwei Freunden an Herzversagen verstorben.

«das bewusstsein, das wissen, das weibliche wissen, das früher in den frauen war (…), wieder vom dreck befreien und es leben»: Doris Stauffer (Porträt von 2015). Foto: Ursula Häne

Erstmals auf Doris Stauffer aufmerksam geworden sind wir dank der von Michael Hiltbrunner kuratierten Ausstellung «Serge Stauffer – Kunst als Forschung», die 2013 im Helmhaus Zürich gezeigt wurde. Aus dem Wunsch heraus, mehr zum Leben und Werk von Serge Stauffers Frau, der Künstlerin Doris Stauffer, zu erfahren, luden wir sie kurz darauf zu einem Workshop ein. Wir stellten rasch fest, dass die Geschichtenerzählerin Doris noch viel zu sagen hatte. Wir beschlossen, ihr Schaffen mit einer Ausstellung (2014 bei Les Complices) und einer Monografie (erschienen 2015 bei Scheidegger & Spiess) zugänglich zu machen. Während dieser Zeit waren wir regelmässig bei Doris zu Besuch. Bei Kaffee und Kuchen durchforsteten wir gemeinsam ihr Archiv und erlaubten uns, ihr auch sehr persönliche Fragen zu stellen. Doris liess uns nicht nur geduldig gewähren, sondern begegnete uns mit viel Humor und entwaffnender Ehrlichkeit. So entstand eine Freundschaft, in der sich über die Generationen hinweg Fragen der Lebensgestaltung mit solchen zu inhaltlichen und gestalterischen Aspekten eines Buchs verbanden.

«Misswa(h)l» gegen Miss-Wahlen

Mit Doris verstarb eine Künstlerin, die sich nicht als solche verstand, eine Vertreterin der experimentellen Kunstvermittlung, die in erster Linie gesellschaftliche, nicht künstlerische Fragen klären wollte. In ihrem Selbstverständnis war Doris zuerst Feministin, als solche suchte sie immer wieder aktiv und mit viel Witz, Selbstvertrauen und einer Prise Zauberei nach neuen Protest- und Ausdrucksformen. «mich selbst hat immer kreativität als lebensart interessiert», schrieb sie 1978 in einem Artikel in der «Fraue-Zitig». «und das heisst für mich, mich befreien von anerzogenen zwängen, tabus, gesetzen, von meinen minderwertigkeitsgefühlen als frau, in meinem verhalten, in meinen beziehungen, in meiner arbeit.» So hat uns Doris zu inspirieren vermocht: zur Arbeit an einer Monografie zu ihrem Schaffen, aber auch als Freundin, zu der sie immer mehr geworden ist.

Anfang der fünfziger Jahre hatte Doris Stauffer, geborene Klötzer, bei Hans Finsler an der Kunstgewerbeschule Zürich Fotografie studiert. Mit 25 Jahren war sie bereits Mutter von drei Kindern, Hausfrau und verheiratet mit ihrem ehemaligen Mitschüler Serge Stauffer. Dieser leitete zusammen mit Hansjörg Mattmüller die Klasse «Farbe und Form» an der Kunstgewerbeschule Zürich. Als Serge Stauffer 1969 beschloss, weniger zu unterrichten und sich mehr seiner eigenen Arbeit als Künstler und Forscher zu widmen, bewarb sich Doris kurzerhand selbst für die Stelle. «Teamwork» lautete ihr Kurs, und ihr primärer Anspruch bestand darin, die SchülerInnen dazu zu bringen, sich auf unkonventionelle Art und Weise mit sich und ihrer Umwelt auseinanderzusetzen. Und da Doris sich nicht dafür interessierte, ob etwas Kunst, Politik oder Spiel war, spannte sie ihre SchülerInnen auch mal für Aktionen der Frauenbefreiungsbewegung ein, wie bei «Misswa(h)l» von 1969 – einer Aktion gegen die Miss-Schweiz-Wahlen.

Ihr Unterricht wurde von den SchülerInnen sehr gut aufgenommen – nicht aber vom Direktor. Er forderte schon ein Jahr später ihren Rücktritt. Als Folge kündigte die gesamte Lehrerschaft – Doris sowie vier Männer – der Klasse «Farbe und Form». 1971 wurde unter dem Namen «F + F Schule für experimentelle Gestaltung» eine Privatschule gegründet. An dieser konzipierte Doris neben «Teamwork» neue Formate wie «Sensibilisierungsübungen» und «Mensch + Raum». 1977 führte sie den «Hexenkurs» ein, den sie bald darauf, zeitweilig mit Suzanne Dietler, auf privater Basis in der eigens dafür gegründeten Frauenwerkstatt weiterführte. In den Kursen wollte Doris «das bewusstsein, das wissen, das weibliche wissen, das früher in den frauen war (…), wieder vom dreck befreien und es leben» (1979). Oder, in ihrer ganz eigenen Poesie ausgedrückt: «wenn die mond aufgeht, geht der sonne unter» (1977). Zu den Hexenkursen inspiriert hatte sie folgendes Zitat von Robin Morgan: «Du bist eine Hexe, wenn du weiblich, zornig, froh und unsterblich bist.»

Unerschrocken und unbeirrbar

Nach dem Erscheinen des Buchs «Doris Stauffer. Eine Monografie» wurden wir regelmässig dazu eingeladen, die Arbeit von und unsere Arbeit zu Doris zu präsentieren. Insbesondere (feministische) Künstlerinnen der jüngeren Generation sind begeistert von ihrer Arbeit. So schrieb uns die Künstlerin Romy Rüegger kurz nach Doris’ Tod, wie schön es sei, dass deren Wirken «bei so vielen jungen Frauen so viel ausgelöst» habe. Anlässlich einer Veranstaltung mit dem Titel «Cake for Us Cake by Us» in Amsterdam wurden Doris und wir dazu aufgefordert, einer für uns besonders bedeutenden Person einen Kuchen zu widmen. Während unser Kuchen – wenig überraschend – ein Bild von Doris zierte, widmete Doris ihren Kuchen der Feministin und Schriftstellerin Mary Wollstonecraft: «Sie hat mir geholfen, unerschrocken und unbeirrbar zu bleiben», begründete sie ihre Wahl. Dass der Geburtstag von Mary Wollstonecraft der 27. April 1759 ist und vom Datum her einen Tag vor Doris’ Tod liegt, ist ein Zufall, wie er Doris gefallen hätte. Als wir nach ihrem Tod unser digitales Archiv zu Doris durchforsteten, fiel uns der Fragebogen eines F + F-Schülers von 1972/73 in die Hände. In diesem antwortete Doris auf die Frage «Glaubst du an ein Leben nach dem Tod?»: «Ich glaube an ein Leben nach dem Jenseits!»

Das glauben wir dir aufs Wort, Doris – und hoffen, dass es dir dort gefällt, dass du dort weiterhin weiblich, zornig, froh und unsterblich sein darfst!