Veit Stauffer (1959–2024): Der Weltenöffner

Nr. 51 –

Veit Stauffer war der Mann, der mit RecRec unerhörte Musik nach Zürich brachte. Ein Nachruf auf den Musikkenner, der auch Künstler und Menschenfreund war.

Portraitfoto von Veit Stauffer
In Zürich fehlt jetzt der beste musikalische Reiseführer: Veit Stauffer. Foto: Adrian Elsener

«Starsailor» heisst eine der wichtigsten Platten im Leben von Veit Stauffer. Mit neunzehn Jahren vergrub er das Album von Tim Buckley vor lauter Begeisterung im Garten seiner Eltern. Das verriet er vor vier Jahren in einem Interview in der WOZ – und auch, dass er sich dann ein zweites Exemplar gekauft hatte, weil er die Platte ja doch hören wollte (siehe WOZ Nr. 47/20).

Es ist eine Anekdote, die so viel über Veit Stauffer erzählt. Angefangen bei der Leidenschaft für die Musik, die sein Leben bestimmen würde. Das jüngste Kind des Künstler:innenpaars Doris und Serge Stauffer wuchs mit Jazz und dem Sound von Woodstock in Zürich Seebach auf und sammelte schon als Teenager alle Werke seiner damaligen Lieblingsbands. Nach der Sekundarschule absolvierte Veit die F + F-Schule für experimentelle Gestaltung, die seine Eltern mitbegründet hatten. Eigene Ideen umzusetzen, wurde in der Familie gefördert, egal wie schräg sie waren – als er 1978 das Album von Tim Buckley eingrub, zelebrierte Veit das als Performance, und seine Mutter Doris filmte ihn dabei.

Im selben Jahr veranstaltete er erste Konzerte, kurz darauf gründete er zusammen mit seinem Freund Daniel Waldner in Zürich einen Ableger des englischen Labels und Vertriebs Recommended Records: den RecRec-Vertrieb, bald auch mit gleichnamigem Plattenladen. Sie veröffentlichten und vertrieben Alben von lokalen Bands wie Jellyfish Kiss, Rosebud, Unknownmix und Skybird. Label, Vertrieb und Laden wurden mit der Zeit grösser, über all die Jahre würden 75 Leute bei RecRec gearbeitet haben. In der Roten Fabrik gehörte Veit, der selber Schlagzeug spielte und eigene Bands hatte, zu den Ersten, die Konzerte und mehrtägige Musikfestivals veranstalteten.

Magnet im Kreis 4

Die 1980er Jahre waren auch privat eine bewegte Zeit für Veit. Er wurde zweimal Vater und lernte Maria Gasche kennen, die seine Lebenspartnerin und Ehefrau werden würde. Er wurde häuslicher und zog sich zeitweilig aus dem RecRec zurück. 1994, nach neunjähriger Pause, übernahm er den Plattenladen wieder.

Der RecRec-Laden war eine Institution und zugleich ein Magnet für Musikhörende auch von weither. Hier fand man nicht nur die oft seltenen Platten, später auch CDs – Veit wusste immer auch Geschichten zu den Künstler:innen und ihren Werken zu erzählen. Sein Wissen deckte mindestens sechzig Jahre Musik-, Jugend- und Alternativkultur ab. Er war – auch mit seinen Newslettern – eine Referenz für Leute, die gerne auf grenzüberschreitende musikalische Genre- und Epochenreisen gingen. Und sein musikalisches Spektrum war riesig: von Alternative über Impro, Jazz und Krautrock bis zu World Music, lokal und international. Ein Herzensprojekt von ihm war Comebuckley, seine Hommage an Tim Buckley, zusammen mit dem Sänger Andi Czech, seinem langjährigen Freund und Mitmusiker. Die Platte gleichen Namens erschien 1987, zwanzig Jahre später veröffentlichten sie das Album nochmals, in einer erweiterten Version.

Alles, nur kein Bullshit

Wenn ihn etwas nervte, konnte Veit durchaus «gätzig» werden. Er war ein sensibler Mensch und ein kluger dazu. Er hatte auch ein feines Gespür für Wahrhaftigkeit – respektive Bullshit. Sein Interesse für die Menschen war so ehrlich, wie er als Mensch es war. Er schuf Verbindungen und pflegte die Beziehungen zu denen, die er gern hatte. Seinem Freund Daniel Waldner, der 1995 tragisch in den Bergen verunglückte, blieb er sein ganzes Leben innig verbunden.

Veit war stets ein gründlicher, präziser, zumeist ziemlich stiller Schaffer. Gleichzeitig stand er auch für den kreativen Spontigeist der Achtziger in Zürich, ihrer Bewegung und ihrer Sounds. Das wusste schliesslich auch das offizielle Zürich zu würdigen: Kurz nachdem sich Veit quasi selber in Pension geschickt hatte, um einer Erschöpfung vorzubeugen, ehrte die Stadt den damals 62-Jährigen für fast ein halbes Jahrhundert leidenschaftliche Vermittlung musikalischer Vielfalt.

Veit schrieb weiterhin mehr oder weniger regelmässig via Blog und Newsletter von seinen Entdeckungen, über Veranstaltungen und Künstler:innen. Auch über die sozialen Medien hielt er die Menschen, mit denen er verbunden war, über sein aktives Leben im Ruhestand auf dem Laufenden. Und nachdem er bereits als junger Mann eine Autobiografie veröffentlicht hatte («Halbweiss», 1983 von Ricco Bilger herausgegeben), nahm er die Arbeit an zwei weiteren autobiografischen Büchern auf (das erste, ein Bildband, soll im kommenden Herbst in der Edition Patrick Frey erscheinen).

In den letzten Jahren sind viele ihm wichtige Menschen gestorben, die Veit in Nachrufen würdigte (manche davon in der WOZ). Als er sich im September 2023 anlässlich einer Ausstellung auf dem Friedhof Sihlfeld anekdotisch und mit Hörbeispielen damit auseinandersetzte, wusste er noch nichts von seiner baldigen Krankheit. Am 6. April schrieb er auf Facebook, er gehe für einige Wochen offline. Eine Leukämie habe ihn erwischt. In den Monaten darauf klang er zuversichtlich, aber die Beiträge des fleissigen Schreibers, der kein Handy hatte, wurden nun seltener.

Ende November suchte er Personen, die seine Erinnerungen aufschreiben würden, weil er selber nur noch Kraft zum Erzählen hatte. Im Nu meldeten sie sich zahlreich. Aber auch das Erzählen ging bald nicht mehr. Am 12. Dezember schlief Veit Stauffer im Beisein seiner Liebe friedlich ein. Segle nun friedlich durchs ewige Sternenmeer, guter Veit!