Generalstreiks in Südamerika: Der Widerstand wächst, aber wofür?
Mit dem ersten Generalstreik seit 21 Jahren zeigten die Gewerkschaften, dass sie noch immer mächtig sind: Kaum ein Bus und kaum eine U-Bahn fuhr am vergangenen Freitag in Brasilien. Schulen und Läden blieben geschlossen, Zufahrtstrassen zu den Zentren der grossen Städte waren mit Barrikaden aus brennenden Reifen blockiert. Vereinzelt kam es zu Strassenschlachten mit Sicherheitskräften, in Rio de Janeiro wurden acht Busse niedergebrannt. Doch politisch fällt der Widerstand in ein Vakuum.
Der Generalstreik richtete sich gegen die neoliberale Politik der korrupten Regierung unter Präsident Michel Temer. Der will die Renten kürzen und Entlassungen erleichtern. Das, so Temer, sei nötig, um wieder Vertrauen in die Wirtschaft herstellen zu können. Als sei dieses Vertrauen nicht deshalb gestört, weil fast alle grossen Unternehmen, die halbe Regierung und ein Drittel des Parlaments in einen milliardenschweren Korruptionsskandal verwickelt sind. Auch Temer, der im August vergangenen Jahres durch die zwielichtige Amtsenthebung der damaligen Präsidentin Dilma Rousseff an die Macht gekommen ist, soll mindestens vierzig Millionen US-Dollar Schwarzgeld für seine Partei eingesammelt haben.
Der Generalstreik hat gezeigt, dass der damalige Regierungswechsel keinen Rechtsruck in der Bevölkerung widerspiegelte. Temer kommt derzeit in Umfragen auf Zustimmungswerte zwischen zwei und vier Prozent. Hinter Rousseffs Amtsenthebung standen reiche Männer, die den Staat nun rücksichtslos nach ihren Bedürfnissen umbauen. Die Gewerkschaften lassen sich das nicht gefallen – ähnlich wie im Nachbarland Argentinien, wo der neoliberale Präsident Mauricio Macri am 6. April einen Generalstreik gegen seine Austeritätspolitik erlebte.
Doch der stärker werdende Widerstand lässt sich politisch nicht umsetzen. Denn auch die Linke ist desavouiert. In Brasilien hat der ehemalige Präsident Lula da Silva fünf Korruptionsverfahren am Hals. Seine Arbeiterpartei hat mehr als schmutzige Hände, da geht der Dreck bis hinauf zu den Ellbogen. In Argentinien steht Macris Vorgängerin Cristina Fernández de Kirchner unter Korruptionsverdacht. Die Verfahren gegen die Linksperonistin und den ehemaligen Arbeiterführer mögen auch politisch motiviert sein.
Tatsache ist: Die Linke, die Brasilien und Argentinien über ein Jahrzehnt lang regiert hat, ist derzeit für die allermeisten nicht wählbar. Noch ist allerdings nicht absehbar, wer denn dieses politische Vakuum füllen wird. Die Voraussetzungen für überraschende Wahlerfolge politischer Scharlatane sind deshalb derzeit gut.