Wichtig zu wissen: Kreisläufe

Nr. 20 –

Ruedi Widmer kehrt um

Kürzlich stand ich mit meinen Kindern vor dem Aquarium des Zitteraals, den ich selber schon als Kind kannte. Seit 1954 ist der im Zoo Zürich, also etwa so lang, wie Königin Elizabeth auf ihrem Thron sitzt. Die Anlage wurde kürzlich erneuert, und wir stiessen gerade dazu, als ein Zooguide über das Tier referierte.

Am nachhaltigsten beeindruckt haben mich weniger des Fisches bekannte Stromstösse, mit denen er seine Beute lähmt als vielmehr das Detail, dass die Exkremente nicht etwa am Ende des langen Körpers ausgeschieden werden, sondern zwischen Maul und Kiemen, was von den Erwachsenen mit Gelächter und von den zahlreichen Kindern mit «Wääk»-Ausrufen erwidert wurde.

Tatsächlich beschäftigt es mich stark, wenn etwas ganz umgekehrt ist. Kürzlich spielte ich mit meinem Illustrationskollegen Samuel Jordi in Gedanken eine Gesellschaft durch, die in Scham und alleine für sich Speisen zu sich nimmt, sie aber in Gesellschaft und angeregtem Gespräch wieder ausscheidet. Von der römischen Upperclass sind solche Toilettensitzungen zwar überliefert, aber das Einnehmen der Mahlzeit fand ebenfalls am Tisch statt. Wir stellten uns hingegen abschliessbare Speisekabinenbatterien vor, in die man die Mahlzeit mitnimmt, dort das Gesicht entblösst und hastig und ohne Genuss ein lieblos gekochtes Einheitsgericht einnimmt, den Mund danach gründlich reinigt und das Mundtuch wieder umlegt. Am Abend macht man dann aufgebrezelt in der gerade angesagtesten Trendtoilette der Stadt ab.

Was nun komisch erscheint, ist an anderen Orten des Lebens gang und gäbe. Geld einnehmen zum Beispiel ist mehrheitlich ein verschwiegenes Geschäft, das jeder für sich selber macht, hingegen das Geldausgeben ein meist öffentlicher Akt, dessen Resultate bei vielen Leuten auch gleichförmig wie Scheisse aussehen: die gleiche Louis-Vuitton-Tasche, die gleichen Tattoos, die gleichen grossen Autos, die gleichen teuren Uhren. Man will in diesen Fällen gesehen werden mit seinen Ausscheidungen.

Die zweite Irritation am besagten Zoobesuch war beim Pinguinbecken. Einer der Königspinguine ging tauchen, um sein Geschäft zu verrichten. Deutlich war durchs Fensterglas zu sehen, wie das Ausgeschiedene sofort von einem kleinen Fisch verspeist wurde, der naturgemäss in absehbarer Zeit wieder gefressen wird. So kleinräumig ist der Ernährungskreislauf bei uns Menschen glücklicherweise nicht, auch wenn wir oft Scheisse vorgesetzt bekommen. Aber es ist wenigstens nicht unsere eigene.

Dass wir zu unseren inneren Organen keine richtige Beziehung haben, finde ich fast jeden Tag komisch. Optisch läuft ja rein gar nichts, es ist eine Fernbeziehung, die auf eine Art rein telefonisch geführt wird. Schon wenn man mit seinem Magen nur skypen möchte, muss man in die Röntgenabteilung des Kantonsspitals gehen. Was für eine enorme Leistung der Magen vollbringt, geht so meist vergessen. Immerhin kann man oben ungefragt alles Mögliche reinlassen, und der Magen ist immer fähig zu vergären. Diese Universalität erinnert an das Dateiformat PDF.

Der Durchlaufprozess bei meinem Lieblingsgetränk Rivella Rhabarber ist komplizierter: Das Getränk scheidet eindeutig einen Rhabarbergeschmack aus, obwohl laut letzten Presseberichten nie eine Stange Rhabarber den Weg ins Getränk gefunden hat. Es ist also eher ein Gebärprozess in der Gebärmutter von Rivella Rhabarber als ein Gärprozess in dessen Magen und Darm.

Um den Kreislauf dieses Texts zu schliessen, muss ich nochmals auf das Jahr 1954 und den Zitteraal Elizabeth zurückkommen. Ich habe einen Scheiss erzählt. Der Zitteraal hat eine Lebenserwartung von 15 bis 22 Jahren, also müssen schon mindestens drei solche Tiere im Zoo Zürich zugegen gewesen sein, auch wenn man sie optisch nicht unterscheiden kann.

Ruedi Widmer ist für immer im Kreislauf der Jahre gefangen.