Fumoir: Raus mit den Zähnen!
Ruedi Widmer über die finale Lösung der Finanzkrise.
Der Zustand unseres Finanzssystems zeigt dessen hauptsächlichen Fehler klar und deutlich auf: Es ist gar kein System. In Systemen können Komponenten ausgewechselt werden, und die Sache läuft wieder. Selbst in der Krisensituation meiner Sommerferien, als wir gezwungen wurden, übermüdet im Auto nach elf Stunden Fahrt mit zwei quengelnden Kleinkindern im Fond hoch oben auf einem Autostrada-Abschleppwagen zu sitzen, dessen Fahrer erst noch heftig dem Alkohol zugeneigt schien, konnte ein Toyota-Techniker schliesslich den Motor durch den Austausch diverser Teile wieder flottmachen und die «Märkte» beruhigen.
Der Motor ist ein System, nicht ein Chaos wie der neoliberale Bankenpfusch. Schaut man an seiner eigenen Existenz hinunter, mit den zunehmenden Wehwehchen und den sich anbahnenden körperlichen Ernsthaftigkeiten, dann vermisst man die Deckel und Klappen, die man an einem Toyota vorfindet. Ist etwas kaputt in einem selber drin, geht nichts über Aufschneiden, und der Techniker wühlt in den Gedärmen herum und arbeitet sich mit blutigen Handschuhen zum Problem vor.
Natürlich ist unser Körper ein Wunderwerk. Grosse Teile davon darf man als System bezeichnen. Was da nicht alles von alleine läuft. Die Verarbeitung gegessener Speisen ist so weit automatisiert, dass man damit überhaupt nichts zu tun hat. Die Vorstellung, man müsste nach dem Dessert selber die Verdauung regeln, vor allen anderen Restaurantgästen in seinem Magen mit Löffeln herumrühren und mühsam die Nährstoffe herausdestillieren, ist unangenehm.
Obwohl es in diesem Fall ja ganz normal wäre, und die Kellnerin oder gar der Koch, der die Speise zubereitet hat, würde die Verdauungsarbeit des Gasts in fachmännischer Art mit dem Schwingbesen erledigen.
Es gibt aber in Gottes Schaffen Mängel, die ihm, wäre er irdisch, heftige Reklamationen beim «Kassensturz» einbrächten. Da sind zum Beispiel mal die Zähne. Nur wenige Zentimeter unterhalb des Wunderwerks des menschlichen Gehirns befindet sich eine unausgegorene Einrichtung, die nicht mal die Cisalpino AG auf den Markt gebracht hätte.
Das angebliche «System Mensch» hat also Bestandteile, die gänzlich ohne Plan schief durcheinanderwachsen, verlöchern und nur mit erheblichem Aufwand betriebsbereit zu halten und auch nicht eins zu eins zu ersetzen sind.
Auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen: Bereits um das Jahr 2000 wiesen der Illustrator Samuel Jordi und ich darauf hin, dass der Zahn ein Ärgernis ist. Unter dem Einfluss von teuren Zahnarztrechnungen hatten wir am Hauptbahnhof Zürich Flyer verteilt, auf denen unter dem Motto «Zähne raus» Werbung für den finalen Zahnarztbesuch gemacht wurde: sämtliche Zähne herausoperieren; alle, auch die gesunden, und dann den Kiefer versiegeln.
Für die Mahlzeit setzt man sich ein Gebiss ein, versilbert oder in modischen Farben, immer in der Jacketttasche griffbereit in einem mit Samt ausgekleideten Kästchen. Die herausoperierten Zähne schliesslich werden, als Siegestrophäe über den zahnmedizinisch-industriellen Komplex und als Erkennungszeichen der Volksbefreiung, an einer Kette aufgereiht um den Hals getragen. Um die Idee dem noch nicht sensibilisierten Publikum nicht allzu utopisch erscheinen zu lassen, hatten wir den Flyer im schrillen Partyflyerdesign gehalten; rückblickend vermutlich ein Fehler, denn die Flyer wurden zwar kurz überflogen, aber gleich in den nächsten Papierkorb geworfen. Nur gut vier Pendler fanden es lustig. Nun muss man dem Finanzsystem die Zähne herausoperieren. Alle.
Ruedi Widmer ist Cartoonist in Winterthur.