Africans Rising: Ein neuer panafrikanischer Anlauf

Nr. 21 –

Der Aktionstag «Africans Rising» am 25. Mai soll den Beginn einer neuen Bewegung markieren, die Kämpfe auf dem ganzen Kontinent miteinander verbindet – und damit eine alte Idee mit neuem Leben füllt.

«Wir sollten uns als Afrikanerinnen und Afrikaner auf eigene Ideen berufen»: Makoma Lekalakala, Sprecherin von Earthlife Africa.

Ginge es nach den InitiatorInnen von «Africans Rising», würde ganz Afrika diesen Donnerstagmittag stillstehen. Anstatt ihrem Alltag nachzugehen, sollen die Menschen dann nämlich in grösseren und kleineren Gruppen zusammenkommen, um einen Moment der kontinentalen Einheit zu teilen. Sie sollen sich rot kleiden und gemeinsam laut vor sich hin sprechen: «Wir sind empört über die Jahrhunderte der Unterdrückung. Wir verurteilen die Plünderung unserer natürlichen und mineralischen Ressourcen sowie die Missachtung unserer fundamentalen Menschenrechte.» So steht es in der Einleitung der «Kilimanjaro Declaration». Tausende sollen diese in ganz Afrika gleichzeitig verlesen, sowohl im öffentlichen wie auch im privaten Raum.

Die «Kilimanjaro Declaration» ist das Manifest einer neuen panafrikanischen Bewegung, die sich mit ganzem Namen «Africans Rising for Justice, Peace and Dignity» nennt – AfrikanerInnen stehen auf für Recht, Frieden und Würde. Das Dokument umfasst nur eine Seite und wurde im vergangenen August bei einer Konferenz im tansanischen Arusha verfasst. Darin ist der gemeinsame Nenner formuliert, auf den sich die 272 TeilnehmerInnen aus vierzig Ländern verständigt haben: Sie fordern mehr Raum für politische Auseinandersetzung, sie stehen für Frauenrechte, Gerechtigkeit und Würde ein, wehren sich gegen Korruption und fordern Klimagerechtigkeit. Der Aktionstag am 25. Mai soll den Beginn einer Bewegung markieren, die all diese Kämpfe in einem panafrikanischen Selbstverständnis miteinander verknüpft.

«Die Sterne stehen gut für einen neuen Panafrikanismus», glaubt Kyle Naidu. Der 25-Jährige stammt aus dem südafrikanischen Durban, hat in den USA Politikwissenschaften studiert und lebt heute in Johannesburg. Als Teil des siebenköpfigen Koordinationsteams ist er für die Aktivitäten in den sozialen Netzwerken zuständig. Und genau in diesem Bereich sieht er auch das grosse Potenzial der jungen Bewegung: «Wir haben heute Methoden zur Kommunikation, die zuvor noch nie da waren», sagt er. Früher sei der Gedanke der afrikanischen Einheit vor allem von Intellektuellen und einflussreichen Persönlichkeiten verbreitet worden; heute dagegen hätten auch gewöhnliche Menschen die Möglichkeit, sich an solchen Diskussionen zu beteiligen. Und diese hat Naidu in den letzten Monaten mit Erfolg angekurbelt: In unzähligen Twitter-Beiträgen unter Hashtags wie #AfricansRising, #25May2017, #AfricaWeWant oder #EndInequality teilen vor allem junge Menschen ihre Gedanken, formulieren politische Forderungen und entwerfen Visionen. Diese sollen am 25. Mai vom digitalen in den öffentlichen Raum gelangen: «Ich weiss von Aktionen in etwa vierzig Ländern», sagt Naidu.

Ein ganzheitlicher Panafrikanismus

Das Graswurzelprinzip der lokalen Bewegungen soll an diesem Tag kontinental zusammengedacht werden. Aus der Vielfalt könne so ein neues vielfältiges Ganzes, eine neue kontinentale Bewegung werden. Auf diesem Weg will «Africans Rising» dem Panafrikanismus zu neuem Schwung in einem neuen Gewand verhelfen. Denn die Idee, Afrika als ein Ganzes zu denken, hat eine verschlungene Geschichte: Bereits Ende des 19. Jahrhunderts prägten Intellektuelle afrikanischer Abstammung in der europäischen, amerikanischen und karibischen Diaspora den Begriff des Panafrikanismus. Auf der Basis der geteilten Erfahrung von Sklaverei und Kolonialismus forderten sie, dass sich AfrikanerInnen und Menschen afrikanischer Herkunft überall auf der Welt auf eine gemeinsame Identität berufen, um als Einheit gegen die fortschreitende Unterdrückung und Ausbeutung zu kämpfen. Das Konzept wurde zwischen 1900 und 1945 auf einer Reihe von panafrikanischen Kongressen diskutiert und prägte viele Unabhängigkeitsbewegungen, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die afrikanische Dekolonisierung erkämpften. Gleichzeitig fand der Panafrikanismus auch in philosophischen, kulturellen und spirituellen Strömungen Ausdruck.

Nach ihrer Unabhängigkeit gründeten dreissig afrikanische Staaten die Organisation für Afrikanische Einheit (OAU), deren Charta sie am 25. Mai 1963 gemeinsam unterschrieben. Als «Afrikatag» wird der Tag bis heute gefeiert, doch haben sich die Vorzeichen mittlerweile stark verändert. Zwar proklamierten seither diverse Staatsoberhäupter die panafrikanische Solidarität, doch verlor das Konzept in den Händen der neuen Mächtigen an Glaubwürdigkeit. Die Versprechen von Freiheit und Prosperität verblassten vielerorts angesichts von Kriegen und raffgieriger Staatsführung. In manchen Fällen verkam der Panafrikanismus gar zur Rechtfertigungsideologie antidemokratischer Regimes – etwa wenn autoritäre Herrscher ihren Regierungsstil als genuin «afrikanisch» verklärten oder sich mit antiimperialistischer Rhetorik dem Zugriff des Internationalen Gerichtshofs zu entziehen versuchten.

Deshalb geht es den AktivistInnen von «Africans Rising» nicht zuletzt auch darum, den 25. Mai neu zu definieren. Ihr Kampf gegen Unterdrückung und Ausbeutung richtet sich zuallererst gegen Regierungen, die demokratische Institutionen bestenfalls als Fassade bestehen lassen und sich – oft gegen entsprechende persönliche Zuwendungen – den Interessen internationaler Unternehmen und Geldgeber beugen. «Wir wollen eine Art Wiederbelebung panafrikanischen Denkens», sagt Kyle Naidu. Historisch gesehen stehe dieses auf der Seite der Machtlosen und Ausgebeuteten. «Zudem ist der Panafrikanismus, den wir verfolgen, sehr ganzheitlich ausgerichtet», erklärt er. Das bedeute, dass es nicht nur um Rechtsstaatlichkeit, Frieden und Demokratie gehe, sondern genauso um soziale Gerechtigkeit, Gleichberechtigung der Geschlechter und Klimagerechtigkeit. «In der ‹Kilimanjaro Declaration› werden deshalb auch explizit die Rechte der Frauen erwähnt sowie die Rechte jener, die von den Folgen des globalen Klimawandels bereits jetzt direkt betroffen sind», sagt Naidu.

Vom Lokalen zum Gemeinsamen

Makoma Lekalakala war von der Idee eines gesamtafrikanischen Aktionstags sofort angetan, als sie davon hörte. Sie ist Sprecherin von Earthlife Africa, einer Organisation, die unter anderem in Johannesburg soziale Auswirkungen von Umweltproblemen bekämpft. Der 25. Mai hatte bereits zuvor eine besondere Bedeutung für ihre Organisation, denn an diesem Tag habe man schon mehrmals öffentlichkeitswirksam gegen Atomstrom mobilisiert. «In diesem Jahr verknüpfen wir nun das, wofür wir stehen, mit dem Geist von ‹Africans Rising›.» Denn auch wenn auf lokaler oder nationaler Ebene für jeweils spezifische Anliegen gekämpft werde, so gebe es eben doch viele Gemeinsamkeiten, die den Kontinent als Ganzes verbänden: «In Gambia haben sie Probleme mit der Staatsführung, das haben wir in Südafrika auch. In Kamerun haben sie Probleme mit der staatlichen Repression, das haben wir hier auch. Im Kongo haben sie Probleme mit der Plünderung von Ressourcen, genau wie wir», sagt die Aktivistin. Dieser 25. Mai gebe nun Anlass, den Kampf für Gerechtigkeit bewusst als Teil eines grösseren Ganzen zu führen.

Im Graswurzelaktivismus sieht Makoma Lekalakala ausserdem die Möglichkeit, einen eigenständigen Weg zu gehen. Viel zu oft habe man versucht, westliche Lösungen zu kopieren. «Nicht, dass das immer nur schlecht wäre», sagt sie, «aber wir sollten uns als Afrikanerinnen und Afrikaner auf eigene Ideen berufen.» So schätzt sie an «Africans Rising» insbesondere, dass keine Themen diktiert würden: «Niemand sagt dir, was es nun zu bekämpfen gilt und was nicht.» Vielmehr gehe es darum, die Probleme andernorts als solche anzuerkennen. «Und wenn das möglichst viele Menschen tun, dann werden wir auf diesem Weg unsere Würde wiedererlangen», sagt Lekalakala.

Der 25. Mai 2017 sei erst der Anfang von «Africans Rising», betont Kyle Naidu. «Egal wie viele Menschen mitmachen, ich bin schon jetzt begeistert», sagt er. Und er verweist darauf, dass sich der Aktionstag nicht auf den afrikanischen Kontinent beschränkt. In den USA etwa würden AktivistInnen von Black Lives Matter mitmachen, ausserdem wisse er von geplanten Aktionen in Deutschland und Irland. «Überall werden die Menschen zusammenkommen, hoffentlich auch in der Schweiz!»

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