Von oben herab: Bürgengesellschaft

Nr. 23 –

Stefan Gärtner über den Verlust der Hochseeflotte

Einer der vielen Gründe, warum ich diese Kolumne so gern habe, ist, dass ich immer wieder Neues lerne. Ich könnte jetzt fragen: Hätten Sies gewusst? Aber als Eingeborene wussten Sie es eh: dass die Schweiz eine Hochseehandelsflotte hat, im Zweiten Weltkrieg angeschafft, um das Land auch in Krisenzeiten mit Unverzichtbarem aus Übersee zu versorgen.

Da bin ich so baff, dass mir nicht einmal gute Witze dazu einfallen; der «beste» wäre noch «Meuterei auf der Kägi Fret», aber da müssen Sie jetzt schon es bitzeli drüber nachdenken, was Witzen ja meist abträglich ist. Worüber ich viel weniger baff bin, ist der Umstand, dass Bundesbern für die Hochseeflotte bürgt und neuerdings auf 215 Millionen Franken so sitzenbleibt wie der Klabautermann nach Feierabend auf dem Achterdeck. Denn die Konkurrenz auf den Meeren ist hart, und so haben sich zuletzt dreizehn Schweizer Schiffe als wirtschaftlich «nicht tragfähig» (Schweizerische Depeschenagentur) erwiesen, und zwar recht überraschend, wie Wirtschaftsminister Schneider-Ammann via Radio SRF einräumte: Er habe eigentlich angenommen, es sei alles in Ordnung.

Aber so ist das, wenn man bürgt: Man steht für eine Sache ein, ohne bei der Sache mitreden zu dürfen, ja überhaupt durchzublicken. Nun mussten die Schiffe weg; aber wer bürgt, verkauft ja nicht, und wer verkauft, hat nicht gebürgt und muss nicht unbedingt darauf sehen, dass er gut verkauft. Weshalb die SDA zusammenfassen kann: «In einer Mitteilung des Wirtschaftsdepartements ist von einem ‹schwierigen und verlustreichen Verkaufsprozess› die Rede. Offenbar konnte der Bund als Bürge die Verhandlungen nur beschränkt beeinflussen.» Offenbar. «Auch das Verhältnis zum Eigner der verkauften Schiffe war alles andere als harmonisch, wie aus der Botschaft ans Parlament hervorgeht. Dieser sei nicht bereit gewesen, die vom Bund geforderte wirtschaftlich nachhaltige Sanierung umzusetzen, heisst es darin.» Kein Mensch muss müssen, nur der Bürge muss, nämlich zahlen. «Eine Sanierung scheiterte auch an Konflikten zwischen dem Eigner und der Geschäftsleitung», und die Eidgenossenschaft als Bürgin war nicht einmal recht Zuschauerin bei einem Konflikt, der sie reichlich 200 Millionen kostet. «All das führte schliesslich dazu, dass die Schiffe unter hohem Druck und zu einem ungünstigen Zeitpunkt verkauft werden mussten.» Und mit viel mehr Verlust als angenommen.

So kann es gehen, jedenfalls wenn es nach dem Lehrbuch geht, das bekanntlich vorsieht, dass Gewinne privat bleiben und für Verluste eine Allgemeinheit da ist, die bei der Gewinn- und Verlustrechnung zwar nicht mitmachen darf, aber dankbar sein muss, dass unsere Unternehmen, ob nun auf den Meeren, bei der Energieversorgung oder im Finanzsektor, so unermüdlich fürs Volkswohl einstehen. Ein Service, dessen Risiken zu versichern nicht weniger als eine Selbstverständlichkeit ist; schliesslich wollen Staat und Gesellschaft ja was vom Unternehmen und nicht umgekehrt, und wenn Bern glaubt, es brauche eine Handelsflotte, dann soll Bern auch für seine Handelsflotte zahlen.

Falls es nicht so ist, dass die Unternehmen eine Handelsflotte brauchen, so wie die Reederei ihre Seeleute braucht, ohne dass die Seeleute deshalb am längeren Hebel sässen und nicht allzeit die Dummen wären. Ich lerne, siehe oben, sehr gern nie aus, aber warum diese Ordnung die beste aller möglichen ist, das lerne ich wohl nicht mehr.

Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.