Von oben herab: Im Iglu

Nr. 7 –

Stefan Gärtner über Talks an der Ski-WM

Drei gute Nachrichten gibt es diesmal aus der bzw. für die Schweiz: Erstens hat das Stimmvolk die Unternehmenssteuerreform als auch Olympia abgelehnt. Zweitens hat Beat Feuz bei den zurzeit in St. Moritz stattfindenden Skiweltmeisterschaften in der Abfahrt Gold gewonnen.

Und drittens sendet das Schweizer Fernsehen von ebenda einen sportiven «Late Night Talk», und zwar aus einem Iglu, vor Publikum. «Drinnen wird es rund null Grad kalt sein», hat die Moderatorin Steffi Buchli der «Schweizer Illustrierten» mitgeteilt. «Ich ziehe zwei Schichten Thermounterwäsche an und trage darüber eher dünne, bequeme Kleider.»

«Verblödung der Massen» ist ja auch so eine Phrase, die man als kritischer Mensch unter dem Risiko verwenden muss, es bitzeli gestrig zu klingen. Freilich gibt sich «die sogenannte Realität» (Benjamin Schiffner) immer weniger Mühe, die Phrase zu entkräften, bzw. ist am Ende, gerade im Fernsehen, sowieso schon alles ganz egal; weshalb man die üblichen Faxenmacher (m/w) samt üblicher Claque dann eben statt ins warme Studio ins eisige Iglu setzt, und niemand weiss, warum.

Ich immerhin habe eine Ahnung: Denn es ist ja sicher kein Fehler, den Leuten draussen im Lande zu zeigen, wie fröhlich ihresgleichen alles mitmachen und bereit sind, das tägliche Verwurstungsgemahle, dessen PR-Betreuer und Sinnbild das Fernsehen ist, noch unter den widrigsten Bedingungen zu akklamieren. Die Symbolik ist ja schon vulgär: Weht es uns auch eisig um die Nase, ziehen wir uns einfach zwei Schichten Thermounterwäsche an, klatschen uns warm und lachen uns um das, was an Verstand etwa noch vorhanden ist. Denn das ist das Prinzip Fernsehen als tautologische Message des Mediums, die es systemisch so absolut unverzichtbar macht: dass alles gut und in der Ordnung sei, eben weil es so ist und nicht anders.

Da passte die «Ski- und Schlagerlegende» (SRF) Hansi Hinterseer als Stargast freilich dazu und hinein wie der Skistiefel in die Bindung, verkörpert der legendäre Tiroler die fröhlich luftdichte Immanenz und den immerwährenden Optimismus des Unterhaltungsbetriebs doch so gut wie niemand sonst. Denn sieht man den vielen anderen Figuren, von Markus Lanz bis Steffi Buchli, ihre eiserne Betriebszugehörigkeit auf tausend Meter an, verkörpert «die blonde Mähne» (SRF) eine Art Naturschönes als völliges Ansichsein, das Paradox einer natürlichen Vermitteltheit, den kleistschen «Gliedermann», mit sich selbst und allem auf eine so bewusstlos graziöse, freundliche Weise identisch, dass es so gut wie schon unentfremdet wirkt. In meinem «Titanic»-Online-Fortsetzungsroman «Glanz und Elend des Kurtchen Sahne» bewunderte der (mit seinem Erzähler nicht ganz unverwandte) Held den Hinterseer Hansi eben für das Kunststück – das der nicht einfach fertigbringt, sondern schlicht ist –, in einer zynischen Welt der zweiten Wirklichkeiten ganz arglos er selbst zu sein: «Und er bliebe allein mit sich und seinem Leben, wie es nun einmal war, und er würde (…) Bier trinken und abends Hansi Hinterseer gucken, den er heimlich bewunderte dafür, dass er tatsächlich immer der war, als der er wahrgenommen wurde. Hansi Hinterseer war immer derselbe, ein völlig kongruenter Mensch, er musste glücklich sein und sah auch so aus. Fabelhaft.»

Also bin ich dann doch fürs Iglu, mindestens momentlang. Es ist ein Kreuz mit dieser Dialektik.

Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.