China auf Einkaufstour in der Schweiz: Die Angst vor der «gelben Gefahr»

Nr. 24 –

Seit einiger Zeit geht die Angst um, dass China die Schweiz aufkauft – ausgelöst durch Übernahmen von Firmen wie Swissmetal, Gate Gourmet oder Syngenta, oft genährt durch eine Portion Fremdenfeindlichkeit und Kommunistenphobie, die seit jeher Hand in Hand gehen. Dabei macht die Schweiz das Gleiche: Der Zwergstaat hält etwa gleich hohe Direktinvestitionen im Ausland wie die asiatische Grossmacht: gut eine Billion US-Dollar.

Nach dem Zweiten Weltkrieg errichteten die Industriestaaten Schranken für den zwischenstaatlichen Kapitalverkehr. In den achtziger Jahren begannen sie, diese jedoch wieder abzubauen. Zuvorderst dabei: die Schweiz. Seither sind die Anlagen, die Investoren – Personen, Firmen und Staaten – in anderen Ländern halten, explodiert. Das gilt nicht nur für den einfachen Besitz von Wertpapieren, sondern auch für Direktinvestitionen, grosse Beteiligungen, die meist von Firmen zur Kontrolle von Tochterunternehmen gehalten werden. Diese sind seit 1990 weltweit von 2 auf 26 Billionen US-Dollar geklettert. 20 Billionen werden vom Westen gehalten, davon 1,1 Billionen von Investoren in der Schweiz. Damit ist die Schweiz der neuntgrösste Investor der Welt.

Zentral für diesen Spitzenplatz sind die Dumpingsteuern, mit denen das Land Tausende internationale Firmen angelockt hat, die ausländische Tochterfirmen halten. Darunter Chemiekonzerne, Banken und Rohstoffhändler wie Glencore.

China stand bis vor kurzem nirgends in den Statistiken. Seit ein paar Jahren jedoch ist die aufstrebende Wirtschaftsmacht auf Einkaufstour: 2015 hat sie die Schweiz überholt und hält inzwischen 1,3 Billionen US-Dollar an Direktinvestitionen. Während die Schweiz laut neusten Zahlen (2015) 21 Milliarden US-Dollar in China investiert hat, gibt es umgekehrt nur Schätzungen, gemäss denen es jedoch weniger sind.

Nur weil auch die Schweiz riesige Summen in der Welt investiert, heisst das allerdings nicht, dass die Explosion des globalen Kapitalverkehrs gut ist. Die dumpfe Angst vor der «gelben Gefahr» ist nicht der einzige Grund, um dagegen zu sein: Der globale Kapitalverkehr setzt die Demokratien ausser Kraft. Das Problem liegt nicht darin, dass Kapital in ausländische Hände gerät. Es liegt darin, dass der Abbau der Kapitalschranken inländischen wie ausländischen Investoren erlaubt, ihr Kapital aus einem Land abzuziehen, wenn ihnen die Politik dort nicht passt. Damit entziehen sie sich der Demokratie.

Ein Kapitalabzug kann erstens Länder in Finanzkrisen stürzen, wie seit den neunziger Jahren in Asien, Argentinien oder Europa geschehen. Zweitens schränkt es die Zentralbanken ein – trotz Immobilienboom kann die Nationalbank (SNB) die Zinsen nicht heben, weil der Franken sonst noch teurer wird. Drittens werden Länder damit zu tiefen Löhnen und Steuern gezwungen, wie die Schweiz mit der Unternehmenssteuerreform eben erfährt. Ziehen Investoren ihr Kapital ab, kommt es viertens zu einem Verlust von Know-how, Steuereinnahmen, Arbeitsplätzen und unter Umständen von wichtiger Infrastruktur: in der Kommunikation, der Energie oder im Verkehr.

Ob hinter solchen Investitionsentscheiden die chinesische KP steht oder eine gewinnmaximierende Firma aus der Schweiz: Den Betroffenen wird das egal sein.

Während die SVP nun dazu aufruft, weitere Übernahmen zu verhindern, möchte SP-Nationalrätin Susanne Leutenegger Oberholzer, dass mit den Währungsreserven der SNB ein Staatsfonds gegründet wird, der unter anderem ausländischen Übernahmen zuvorkommen könnte. Zudem verlangt sie, dass Firmen wie die Swisscom zwingend in öffentlicher Hand bleiben. Jetzt, wo die Schweiz eine Ahnung davon erhält, welche Bedrohung das globalisierte Kapital für andere Länder darstellt, sollte sie jedoch nicht nur auf nationale Verteidigung setzen: Sie sollte dies zum Anlass nehmen, die Explosion des Kapitalverkehrs infrage zu stellen – und die eigene Führungsrolle darin zu hinterfragen.

Bereits ist die Schweiz jedoch mit 22 anderen Parteien daran, mit dem Trade in Services Agreement (Tisa) einen neuen Deal auszuhandeln, der Investoren die Übernahme mitunter öffentlicher Dienstleistungen erleichtern soll. Hier steht ein weiteres Stück unserer Demokratie auf dem Spiel.