Weltwirtschaft: Der Klub der Handelskrieger

Nr. 17 –

US-Präsident Donald Trump riskiere mit der Einführung von Zöllen einen internationalen Handelskrieg, heisst es überall. Falsch. Denn dieser Krieg tobt schon seit Jahrzehnten – und mitten auf dem Schlachtfeld steht die Schweiz.

Die Schweiz sei «fantastic», sagte US-Präsident Donald Trump im Januar in Davos, «a great place!». Dabei hat die Eidgenossenschaft nur Glück, dass sie so viel kleiner ist als die Volksrepublik China. Sonst hätte Trump sie ebenfalls längst ins Fadenkreuz genommen: Trump ist wütend über Chinas Leistungsbilanzüberschuss – also darüber, dass China mehr in die Welt und vor allem in die USA exportiert als dort einkauft. An der Grösse der Wirtschaft gemessen ist allerdings der jüngste Überschuss der Schweiz in die Welt viel grösser als jener Chinas: nämlich 9,8 gegenüber 1,4 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP). Die Schweiz nimmt damit global einen absoluten Spitzenplatz ein.

Auch ihr Warenexportüberschuss gegenüber den USA ist mit rund zwei Prozent beträchtlich, auch wenn China hier knapp vorn liegt. In absoluten Zahlen jedoch exportiert die Schweiz damit lediglich für 14 Milliarden US-Dollar mehr in die USA, als sie von dort einführt. Chinas Überschuss beträgt dagegen satte 375 Milliarden.

Schlag gegen China

«Handelskriege sind gut und einfach zu gewinnen», twitterte Trump am 2. März. Eine Woche später verhängte er Zölle auf Stahl- und Aluminiumimporte von 25 respektive 10 Prozent. Auch die Schweiz ist betroffen, allerdings ist ihr Stahl- und Aluexport in die USA gering. Nach Regierungsprotesten verkündete das Weisse Haus, die EU und sechs weitere Länder bis Anfang Mai von den Zöllen auszunehmen; wie es danach weitergeht, ist gegenwärtig noch offen. Am gleichen Tag folgte dann der Schlag gegen China: Trump verkündete weitere Zölle im Umfang von 50 Milliarden Dollar gegen die Volksrepublik, da das Land geistiges Eigentum stehle. Betroffen sind etwa Fernseher, Satellitenschüsseln oder Batterien. Kurz darauf verhängte auch China Zölle auf über 300 US-Produkte: auf Autos, Flugzeuge oder Sojabohnen.

Der dumme Donald Trump riskiere einen globalen Handelskrieg, heisst es nun überall. Falsch. Der Handelskrieg läuft längst, Trump greift nun einfach mit dem Zweihänder ein.

Zugespitzt könnte man sagen, dass der Krieg bereits in der DNA des Kapitalismus steckt. Der niederländische Philosoph Bernard Mandeville hatte im 18. Jahrhundert in seinem Bestseller «Die Bienenfabel» den Glauben in die Welt gesetzt, dass nicht etwa die Tugend des Einzelnen die Grundlage des Gemeinwohls sei, sondern das Laster: die Gier, das Verbrechen, der Krieg. All das, was auch die Bienen tun würden, um ihrem Bienenstock zu Grösse zu verhelfen. Kurz darauf fasste Ökonom Adam Smith all dies in etwas zivilisiertere Worte, die bis heute zum Kanon des Wirtschaftsliberalismus gehören: Wenn alle ihren Eigennutz maximieren, wird daraus das Gemeinwohl hervorgehen.

Der Kampf und seine Sieger

Mandevilles Kriegsgedanke steckt auch im internationalen Freihandelssystem, das vor allem die westlichen Regierungen seit der turboliberalen Revolution der achtziger Jahre vorantreiben. Oder zumindest der Gedanke des Kampfes. Schrittweise wurden die Schranken für Güter, Dienste und vor allem Kapital abgebaut. Damit wurden erstens alle Menschen (als Unternehmer oder Arbeiterinnen) in die gegenseitige Konkurrenz getrieben – gemäss der Maxime: Möge der Stärkste gewinnen. Zweitens gerieten die Nationalstaaten als Wirtschaftsstandorte in einen Kampf um Investitionen und Absatzmärkte. Klaus Schwabs Weltwirtschaftsforum (Wef) heizt diesen irren Kampf an, indem es jährlich eine Rangliste der «wettbewerbsfähigsten» Länder publiziert.

Sieger dieses Kampfes ist neben der Schweiz und China unter anderem auch Deutschland, das seit Jahren enorme Exportüberschüsse schreibt – letztes Jahr betrugen sie acht Prozent des BIP. Das Land hat dies vor allem dadurch erreicht, dass es seit den Arbeitsmarktreformen Anfang der Nullerjahre unter SPD-Kanzler Gerhard Schröder die Löhne tief hält. China seinerseits hat auf eine nur langsame Öffnung seines Marktes gesetzt und vor allem seine Währung geschwächt, um seine Exporte ins Ausland zu verbilligen. In den letzten Jahren ist der einst riesige Überschuss jedoch gesunken.

Und die Schweiz? Die USA haben ihr gerade erst letzte Woche wieder vorgeworfen, ihren riesigen Überschuss durch die Abwertung des Frankens hochzuhalten. Das stimmt jedoch nicht ganz: Was Deutschland mit den Löhnen und China lange mit der Währung erreichte, macht die Schweiz vor allem mit tiefen Steuern. Die hohen Überschüsse werden, wie Nationalbankchef Thomas Jordan erst letzten November den USA erklärte, vor allem durch Multis wie Rohstofffirmen erzielt – die hier von weltweit rekordtiefen Steuern profitieren.

Dieser Überschuss hat in den letzten Jahren den Franken in die Höhe getrieben, was die Nationalbank wiederum bekämpft hat, um etwa die exportierende Maschinenindustrie zu schützen.

Zwar muss die Schweiz nun auf internationalen Druck hin gewisse Steuerprivilegien streichen. Doch SVP-Finanzminister Ueli Maurer will dies nutzen, um mit seiner «Steuervorlage 17» im Kampf um multinationale Konzerne die Steuern weiter zu senken.

Die USA werden abgelöst

Dagegen schreiben die USA – die nach dem Zweiten Weltkrieg zur unbestrittenen Weltmacht avanciert waren – seit Anfang der neunziger Jahre enorme Exportdefizite. Für die US-Bevölkerung bedeutet dies: weniger Einkommen und Arbeitsplätze. Und es bedeutet einen wachsenden Schuldenberg. Denn um mehr importieren zu können, als sie exportieren, müssen sich die USA im Ausland Geld leihen. Wohin das führt, zeigte sich vor zehn Jahren, als in den USA die Schuldenblase platzte und eine gigantische Finanzkrise auslöste, die Millionen von Menschen in die Arbeitslosigkeit trieb.

Seither ist Chinas Wirtschaftsleistung von 4,6 auf über 11 Billionen US-Dollar geklettert – und liegt damit noch 7 Billionen hinter jener der USA. China ist dabei, die USA als Weltmacht abzulösen.

Trump, der nun von FreihandelsfanatikerInnen als Bedrohung für die Weltwirtschaft verschrien wird, macht nichts anderes, als im längst tobenden Kampf zwischen Wirtschaftsstandorten mitzuziehen. Sein Handelskrieg ist lediglich die Fortführung dieses Kampfes mit anderen Mitteln.

Der Kampf zwischen den Nationen wird zusätzlich von den innerstaatlichen Verteilungskämpfen vorangetrieben, die sich mit der wachsenden Ungleichheit verschärfen. Auch diese ist eine Folge des Standortwettbewerbs, der durch den Abbau von Handels- und Kapitalschranken ausgelöst wurde: Er drückt auf die Löhne tief qualifizierter ArbeiterInnen sowie auf die Steuern, die bisher ein Minimum an sozialem Ausgleich garantiert haben. Das ist die Kulisse, vor der rechte Nationalisten wie Trump – der mit Steuergeschenken an Reiche die Kluft weiter verschärft – den inneren Verteilungskampf nach aussen zu lenken versuchen: Um oben in Ruhe abkassieren zu können, wird jenen unten versprochen, dass ihr bescheidener Wohlstand gegen aussen verteidigt werde. Das Ganze versehen mit einem guten Schuss Fremdenfeindlichkeit.

Das ist es, was Ueli Maurers SVP, angeführt von der Milliardärsfamilie Blocher, seit Jahrzehnten macht. So sichert sich die Plutokratie – die Herrschaft des Geldes – den Segen der Bevölkerung.

Kooperation statt Konfliktkurs

Was ist die Alternative zum Handelskrieg? Die internationale Kooperation: bei der Höhe der Steuern, der Löhne sowie der Umwelt- und Sozialstandards. Nur so könnte der Irrsinn des Standortwettbewerbs enden. Das ist, was der französische Präsident Emmanuel Macron immerhin schon einmal für Europa fordert. Kooperation braucht es zudem in der Frage, welche Schranken zwischen den Staaten bestehen müssen, damit die Demokratien eine eigene Sozialpolitik verfolgen können, ohne die Abwanderung von Firmen befürchten zu müssen. Das befürworten inzwischen auch Wirtschaftsliberale wie etwa der Harvard-Ökonom Dani Rodrik.

Die Forcierung des Freihandels ist nicht das Mittel gegen den Handelskrieg. Sie ist dessen Ursache.

Diese Lehre hatten bereits die Architekten des Weltwirtschaftssystems Mitte des 20. Jahrhunderts begriffen, die insbesondere dem Kapitalverkehr hohe Schranken setzten. «Was einst Ketzerei war, ist jetzt abgesegnete Orthodoxie», kommentierte der damals führende liberale Kopf John Maynard Keynes. Kurz zuvor war die erste grosse Zeit des Freihandels im 19. Jahrhundert im Imperialismus, in einem Finanzcrash, in wachsendem Protektionismus und letztlich in zwei Weltkriegen gemündet.