Nationalbank: Machtlos auf einem Devisenberg
Thomas Jordan druckt Hunderte von Milliarden Franken, die die Ungleichheit verschärfen und einen gefährlichen Immobilienboom anheizen. Die Schuld daran liegt nicht bei ihm.
Es ist ein gigantischer Devisenberg, von dem Nationalbankpräsident Thomas Jordan inzwischen auf die Schweiz hinunterblickt: Sass die Nationalbank (SNB) vor der Finanzkrise 2008 auf ausländischen Wertpapieren im Wert von 85 Milliarden Franken, sind es inzwischen beinahe eine Billion. Und der Berg dürfte weiterwachsen: Wie Jordan vor wenigen Tagen erklärte, will er falls nötig noch mehr Franken drucken, um damit weitere ausländische Wertpapiere zu kaufen.
Das Problem ist nicht die Höhe des Berges an sich, sondern dass mit dem wachsenden Berg Milliarden an Wohlstand im Land umverteilt werden. Ganz leise, beinahe unbemerkt.
Jordans Dilemma ist, dass zu viele Investoren ihr Geld in der Schweiz anlegen wollen. Das steigert die Nachfrage nach Franken, was die Währung aufwertet. Das ist ein Problem für Exportfirmen, weil es ihre Produkte verteuert. Die SNB hat deshalb seit der Finanzkrise 2008 ihren Leitzins schrittweise von plus 3 auf minus 0,75 Prozent gesenkt. Das führt im gesamten Finanzmarkt zu tieferen Zinsen, was Investoren in andere Länder treiben soll.
Doch das klappt nur teilweise. Deshalb druckt die SNB seit Jahren zusätzlich im grossen Stil Franken, mit denen sie ausländische Wertpapiere kauft. Je mehr Franken sie so in Umlauf bringt, desto weniger Wert haben diese. Allein in der aktuellen, durch Corona ausgelösten Wirtschaftskrise hat Jordan nochmals für rund 100 Milliarden Franken Wertpapiere gekauft.
Die globale Sparschwemme
Jordan kann kaum anders: Würde er die Zinsen anheben oder keine weiteren Franken drucken, um damit ausländische Wertpapiere zu kaufen, würde der Franken in die Höhe schnellen. Die Schweiz fiele in eine noch tiefere Wirtschaftskrise. Oft wird der SNB-Chef als einer der mächtigsten Männer der Schweiz bezeichnet. In Wahrheit ist er eher machtlos.
Jordan steht ohnmächtig einer Weltwirtschaft gegenüber, in der Investoren mit einer Unmenge von Kapital nach Anlagen suchen. Viele ÖkonomInnen sprechen von einer «saving glut», einer globalen Sparschwemme. Ein zentraler Grund für diese Schwemme ist die seit Jahrzehnten zunehmende Ungleichheit, wie etwa auch der Internationale Währungsfonds inzwischen in Studien festhält. Diese führt dazu, dass immer mehr Kapital in immer weniger Händen konzentriert ist. Hinzu kommt, dass die grossen Zentralbanken wie die US-amerikanische Federal Reserve (Fed) in den Jahren vor der Finanzkrise 2008 begonnen haben, noch zusätzliche Billionen in den Markt zu pumpen.
Mit diesen Billionen sollte die Wirtschaft angekurbelt werden, die unter anderem daran litt, dass die Ärmeren wegen der zunehmenden Ungleichheit weniger Güter kauften. Staaten und private Haushalte erhielten Kredite, die den Konsum ankurbeln sollten. «Pumpkapitalismus» nannte der Soziologe Ralf Dahrendorf dies einst. Als das Schuldenhaus in der Finanzkrise 2008 beinahe zusammenkrachte, stützten die Zentralbanken das Haus mit noch viel mehr Billionen – diese Politik ist längst zum Normalfall geworden. Als letzten März die Coronapandemie ausbrach, kaufte die Fed, um den Finanzkollaps zu verhindern, allein in einer Woche Wertpapiere für über eine halbe Billion US-Dollar.
Ungleichheit, drohender Crash
Druckt Jordan genug Franken, kann er zwar verhindern, dass das hier angelegte Kapital den Franken in die Höhe treibt – das Kapital selbst bleibt jedoch hier. Und es verschärft die soziale Ungleichheit: Das viele Geld treibt Anlagen wie Aktien in die Höhe. Im Jargon: Es herrscht Vermögenspreisinflation. Davon profitieren in erster Linie die zehn Prozent Reichsten in der Schweiz, die Dreiviertel der Vermögen besitzen. Unter anderem leihen sich Unternehmen Geld, um eigene Aktien zu kaufen und so ihren Börsenkurs zu steigern. Die Kapitalflut erklärt zu einem guten Teil, warum die 300 Reichsten in der Schweiz laut «Bilanz» seit 2008 200 Milliarden Franken dazugewonnen haben. Familie Blocher machte allein letztes Jahr 4 Milliarden vorwärts.
Die Dimensionen sind immens: Über Jahrzehnte waren die privaten Vermögen in der Schweiz etwa fünfmal so hoch wie die gesamten jährlichen Einkommen, haben die ÖkonomInnen Isabel Martínez und Enea Baselgia ausgerechnet. Zwischen 2010 und 2017 ist der Wert der Vermögen auf das Siebenfache der Einkommen geklettert. Teurer geworden sind vor allem die Immobilien, in die immer mehr Anlagekapital fliesst.
Seit Jahren warnen deshalb ÖkonomInnen vor der sich ausdehnenden Immobilienblase. Die Kapitalflut führt auch dazu, dass Banken privaten Haushalten immer mehr billige Hypotheken vergeben, mit denen diese Häuser kaufen: Die Schulden der hiesigen Privathaushalte sind seit 2008 von 101 auf 131 Prozent des Bruttoinlandsprodukts geklettert, ein internationaler Spitzenwert. Seit Jahren klettert der Immobilienblasen-Index der UBS immer weiter nach oben; seit der Pandemie steht er an der Schwelle zur höchsten Gefahrenstufe Rot. Kein Wunder, hat die SNB letzten März sofort weitere Mittel für die Coronakredite bereitgestellt, mit denen die Firmen ihre Mieten bezahlten. Irgendwann könnte es jedoch krachen.
Während die Vermögenden von der Kapitalflut profitieren, gehört die ärmere Hälfte der Haushalte, die so gut wie nichts besitzt, zu den VerliererInnen. Das viele Kapital, das in Immobilien fliesst, drückt die Mieten immer weiter nach oben. Unter anderem werden Häuser geräumt, saniert und teurer wiedervermietet. Allein seit 2005 sind die Mieten gemäss offiziellen Zahlen um zwanzig Prozent gestiegen.
Das ist nicht alles: Die Kapitalflut frisst den Ärmeren auch die Ersparnisse weg: Anders als bei Reichen, die genug Geld haben, um einen Teil in Aktien und Immobilien anzulegen, liegt das Geld der KleinsparerInnen vor allem in ihrer Pensionskasse, in denen die Renditen wegen der Negativzinsen immer weiter sinken. Für das wenige Geld auf ihrem Sparkonto erhalten sie gar keinen Zins mehr.
Es braucht höhere Steuern
Doch auch wenn Nationalbankpräsident Jordan auf seinem Devisenberg der Kapitalflut ohnmächtig gegenübersteht: Bundesrat und Parlament könnten durchaus handeln. Denn die Schweiz ist gar mitverantwortlich für die Flut: Einer der zentralen Gründe für die weltweit zunehmende Ungleichheit ist, wie etwa der französische Ökonom Thomas Piketty aufgezeigt hat, der seit Jahrzehnten tobende Steuerwettbewerb. In fast allen Industriestaaten haben sich etwa die Unternehmenssteuern seit 1980 mehr als halbiert. Eine der stärksten Lokomotiven dieses Steuerwettbewerbs ist die Schweiz, die im jüngsten Bericht der NGO Tax Justice Network auf Platz fünf der Steuerparadiese für Konzerne rangiert.
Neben der politischen Stabilität und der traditionell protestantischen Nationalbankpolitik sind die rekordtiefen Steuern ein zentraler Grund, warum ein so grosser Teil des überschüssigen globalen Kapitals ausgerechnet in der Schweiz nach Anlagen sucht. Durch sie ist die Schweiz zu einem Konzern- und Finanzmekka geworden, was sich in der gigantischen Summe an ausländischen Direktinvestitionen zeigt, die in der Schweiz liegen: Seit 2000 sind diese von 34 auf 1350 Milliarden US-Dollar explodiert – das sind 400 Milliarden mehr als in Deutschland, dessen Volkswirtschaft sechsmal grösser ist. Von hier aus investieren die Konzerne wiederum etwa gleich viel ins Ausland.
Nun, da viele Staaten auch wegen des Steuerwettbewerbs überschuldet sind und die Investitionsmöglichkeiten in der Krise schwinden, wirkt das Konzern- und Finanzmekka Schweiz wie ein Magnet, wo das Kapital Zuflucht sucht – auch weil es kaum irgendwo tiefer besteuert wird.
Das einzige Mittel gegen die Kapitalflut besteht darin, das Kapital höher zu besteuern. Neben höheren Steuern auf Gewinnen und Vermögen wäre auch eine Steuer auf den Kauf von Franken möglich, wie dies der Freiburger Wirtschaftsprofessor Sergio Rossi vorschlägt. Eine solche Tobin-Steuer würde den Kauf von Franken bremsen und gleichzeitig überschüssiges Kapital aus dem Markt ziehen. Das Steuergeld könnte wiederum in Umweltschutz, Bildung oder in das Gesundheitssystem investiert werden, wie dies SP und Grüne in den letzten Tagen gefordert haben.
Klar ist: Endlos wird die Schweiz der schleichenden Umverteilung des Wohlstandes und der gefährlich anwachsenden Immobilienblase nicht zusehen können.