Kino-Film «Wonder Woman»: Dirty Diana

Nr. 24 –

Der Hype ist gewaltig, aber wer von der «Wonder Woman»-Verfilmung die feministische Revolution in Hollywood erwartet, wird enttäuscht. Von den fesselnden Ideen der Comics bleibt im Film wenig übrig.

Die Affiche verspricht einiges: In der Ära der Comic-Megablockbuster ist «Wonder Woman» der erste Film, in dem eine Frau die Hauptrolle spielt. Besetzt ist diese mit der israelischen Schauspielerin Gal Gadot, deren Biografie sie schon im echten Leben als Hollywoodheldin qualifiziert: Miss Israel 2004, Model, Universitätsabschluss in Rechtswissenschaften, zweifache Mutter, dazu zwei Jahre Militärdienst in der israelischen Armee, unter anderem als Fitnesstrainerin. Regie führte mit Patty Jenkins ebenfalls eine Frau, die mit ihrem Film «Monster» (2003) einst Charlize Theron als bester Hauptdarstellerin zum Oscar verhalf.

Der Hype im Vorfeld nahm teils groteske Formen an: So wurde die Figur Wonder Woman im Oktober 2016 von der Uno zur Botschafterin für weibliche Ermächtigung ernannt. Dagegen machte eine Onlinepetition mobil, weil eine fiktionale Person und vor allem «eine Figur mit übermässig sexualisiertem Image» nicht als Botschafterin dienen könne. Nur zwei Monate später ruderte die zuständige Uno-Stelle zurück und erkannte Wonder Woman den Status kurzerhand wieder ab. Im Unterschied übrigens zu den ebenfalls fiktionalen Figuren Glöckchen aus Peter Pan (Uno-Botschafterin für die Farbe Grün), Winnie the Pooh (Freundschaft), und Red, der Titelfigur aus dem Computerspiel «Angry Birds» (Ehrenbotschafter zum Tag des Glücks 2016).

Batmans lesbisches Gegenstück?

Es ist nicht das erste Mal, dass sich die Gemüter an Wonder Womans Sexualisierung erhitzen. 1954 prangerte der Psychiater Fredric Wertham in seinem Buch «Seduction of the Innocent» diverse Comicfiguren als jugendgefährdend, gewaltfördernd und antiamerikanisch an: «Superman bringt Kindern Allmachtsfantasien bei (…), Batman-Geschichten sind homosexuell und pädophil (…) und Wonder Woman ist [Batmans] lesbisches, männerfeindliches Gegenstück.» Werthams Werk führte in der McCarthy-Ära zu einer Hetzjagd auf Comics inklusive Bücherverbrennungen. Allerdings lag Wertham (anders als beim betont heteronormativen Batman) bei Wonder Woman gar nicht so falsch.

Wonder Woman wurde 1941 erschaffen – in ihrem ersten Auftritt stürzt der US-Spion Steve Trevor auf der mythischen Insel Themyscira ab, die von einer utopischen, gewalt- und männerfreien Kultur von Amazonen bewohnt wird. Amazonenprinzessin Diana gewinnt in einem Turnier das Recht, Trevor zurück in die «Männerwelt» zu begleiten, wo sie sich als Wonder Woman dem noblen Kampf gegen das personifizierte Böse – die Nazis – anschliesst. Sie ist «schön wie Aphrodite, weise wie Athene, stärker als Herkules und schneller als Merkur» und ausgerüstet mit dem «Lasso der Wahrheit», das jeden, der damit gefesselt wird, zwingt, die Wahrheit zu sagen.

Erfunden hat die Figur der Psychologe William Moulton Marston, der wenige Jahre zuvor gemeinsam mit seiner Ehefrau Elizabeth den systolischen Blutdrucktest und daraus den modernen Lügendetektor entwickelt hatte. Er sah in Comics «grosses erzieherisches Potenzial» für junge Menschen. Die Figur Diana kreierte er als direkten Ausdruck seiner Überzeugung, dass Frauen von Natur aus friedlicher seien und dass die Menschheit – wenn sie die Wirren des Krieges überstehen würde – von sich aus in ein globales Matriarchat steuern müsse.

Überfrau mit Fesselfetisch

So kommentierte Wonder Woman in ihren frühen Abenteuern als Avatar des Autors die rückständige männliche Gesellschaft der vierziger Jahre aus der Perspektive einer manchmal naiven Überfrau. Der ohnehin schon sapphische Unterton der Gesellschaft auf Themyscira wurde vom Autor noch mit einer kräftigen Prise Fetischismus angereichert: In frühen Abenteuern wimmelt es von Bondage-Szenen, in denen junge Amazoninnen in akrobatisch anmutenden Posen gefesselt werden. Das «Lasso der Wahrheit» erklärte Marston selbst zum Symbol dafür, dass der Mensch nur in der Unterwerfung wirklich ehrlich sei.

Was nach dem feuchten Fetischtraum eines alternden Professors klingt, war bei Marston Ausdruck einer Lebensform, die selbst nach modernen Massstäben unkonventionell war. So lebte er in einer Ménage-à-trois mit seiner Ehefrau und Forschungspartnerin Elizabeth sowie seiner ehemaligen Studentin Olive Byrne, der Wonder Woman in ihrem Aussehen nachempfunden sein soll. Wie harmonisch diese Beziehung war, lässt sich nur erahnen – Tatsache ist, dass Elizabeth ihr zweites Kind nach Olive benannte sowie die beiden Kinder, die William mit Olive zeugte, adoptierte. Und dass die beiden Frauen nach Williams Tod 1947 mit ihren vier Kindern als Familie weiter zusammenlebten bis zu Olives Tod 1985. Elizabeth Marston verstarb 1993 als Hundertjährige. Die verrückte Geschichte dieser Familie soll im Oktober dieses Jahres als «Professor Marston & the Wonder Women» in die Kinos kommen.

Covergirl des Feminismus

Wonder Woman war 1942 die erste Heldin, die bei DC Comics ein eigenes Heft erhielt (das Konkurrenzuniversum von Marvel zog erst 1977 mit «Ms. Marvel» gleich). Seither spielte Wonder Woman jede nur denkbare Rolle: Kriegerin, Heilerin, Wissenschaftlerin, Ärztin, Weltkriegsveteranin, Sekretärin, Privatdetektivin, Königin, Gottheit – sogar Supermans Liebhaberin. Und immer war sie auch eine Ikone. Als im Juli 1972 die feministische Zeitschrift «Ms.» erstmals erschien, setzte Chefredaktorin Gloria Steinem die Superheldin aufs Cover, unter der Headline «Wonder Woman for President». 2015 fand Diana sogar zu ihren sapphischen Wurzeln zurück und traute als erste Superheldin ein lesbisches Paar.

Mit dem Sprung ins Kino geht es für den Verlag DC Comics (und dessen Besitzer Warner Brothers) um viel Geld. Zwar spielten die bisherigen Verfilmungen wie «Superman vs. Batman» durchaus ein Mehrfaches ihrer neunstelligen Budgets wieder ein. Im Vergleich zu den durchschlagenden Erfolgen der Marvel-Filme wie «The Avengers» fielen sie an den Kinokassen jedoch deutlich ab – und wurden von der Kritik in der Luft zerrissen. Mit «Wonder Woman» zeichnet sich die letzte Gelegenheit ab, im Vorfeld des Gruppenfilms «Justice League», der diesen November in die Kinos kommen soll, die Franchise in eine profitable Zukunft zu führen.

Frauenförderung als Kalkül

Dass Warner Brothers in diesem Zusammenhang zum ersten Mal in der Geschichte der Superhero-Blockbuster die Regie in die Hände einer Frau legte, ist wohl Kalkül – was die Symbolwirkung des Entscheids nicht schmälert. «Wonder Woman» spielte bereits am ersten Wochenende in den US-Kinos mehr ein als jeder Film, bei dem eine Frau allein Regie führte – mit insgesamt 103 Millionen US-Dollar überflügelte Patty Jenkins die bisherige Rekordhalterin Sam Taylor-Johnson («Fifty Shades of Grey»).

Das allein macht den Film noch nicht zum feministischen Manifest. «Wonder Woman» ist eine Comicverfilmung wie alle anderen auch, gemessen an den bisherigen Verfilmungen von DC Comics ist sie grossartig. Von Marstons Ideen über Bondage und das Matriarchat ist im Film allerdings nichts übrig. Die Story bleibt flach, wie bei allen Comicverfilmungen zuvor: Diana begleitet als Teil ihrer ersten Heteroromanze den US-Spion Trevor in den Ersten Weltkrieg, wo sie den Kriegsgott Ares erschlagen will, der sich als ihr Halbbruder herausstellt. Das ist in fünf Minuten erzählt. Die restlichen 136 Minuten sind mit dem üblichen digitalen Gemetzel aufgefüllt – wunderschön, aber schon hundertmal gesehen.

Wobei es durchaus Differenzen gibt. Um diese zu finden, muss man allerdings sehr genau hinschauen. So verbreitete «Teen Vogue» den Post einer Tumblr-Userin, die festgestellt hatte, dass die Schenkel von Wonder Woman bei dem als «super hero landing» bekannten Landemanöver im Film tatsächlich beben – wie dies eben bei einem Menschen aus Fleisch und Blut der Fall sein müsste, selbst bei einer durchtrainierten Exsoldatin wie Gal Gadot. Damit sei der häufig zitierte «male gaze» endlich durchbrochen worden.

Dass das reicht, um in Hollywood endlich die Geschlechterrevolution ausbrechen zu lassen, darf bezweifelt werden. Vielleicht dauert es noch einmal siebzig Jahre – doch wenn «Wonder Woman» einen Beweis erbringt, dann den, dass auch Frauen teure Blockbuster machen dürfen, die nach Schema F funktionieren, und damit massig Kohle verdienen. Innovativ ist das nicht. Aber ein Fortschritt.

Ab 15. Juni 2017 im Kino.

Wonder Woman. Regie: Patty Jenkins. USA 2016