Kino-Film «Avengers: Endgame»: Nichts als Schlacke

Nr. 19 –

Die Comicverfilmung «Avengers: Endgame» bricht an den Kinokassen alle Rekorde. Doch dieses Endspiel hält kaum eins der Versprechen, die die Filmreihe zuvor gemacht hat.

Der «Iron Man» (Robert Downey jr.) löst immerhin so etwas wie Emotionen aus. Still: Marvel Studios

Eine Warnung vorweg: Ja, der folgende Text macht sich der schlimmsten Sünde des 21. Jahrhunderts schuldig – er enthält Spoiler. Aber wenn Sie «Avengers: Endgame» noch nicht gesehen haben, dann wissen Sie nach diesem Text, weshalb das getrost so bleiben darf.

«Avengers: Endgame» bricht derzeit alle Rekorde an den Kinokassen: Nach nicht einmal zwei Wochen hat der Film weltweit bereits 2,2 Milliarden US-Dollar eingespielt und dürfte also schon bald James Camerons «Avatar» (knapp 2,8 Milliarden) als erfolgreichsten Film der Geschichte ablösen. Damit tut er genau das, worauf er angelegt war: verdammt viel Geld verdienen. Doch die Serie mit insgesamt 22 Filmen, die vor elf Jahren mit «Iron Man» begann, machte das lange belächelte Superheldengenre nicht nur zur grössten Geldmaschine der zeitgenössischen Popkultur. Mit dem ersten «Avengers»-Film, mit «Guardians of the Galaxy» und den drei «Iron Man»-Filmen verpasste sie dem Genre auch einen Innovationssprung – mit witzigen Dialogen, cleveren Plots und SchauspielerInnen, die zweidimensionale Figuren zu Ikonen machten.

Allen voran Robert Downey jr., der sich als «Iron Man» von einer Pointe in Entzugswitzen zum bestbezahlten Schauspieler Hollywoods transformierte. In «Avengers: Endgame» spielt er nun zum letzten Mal die ikonische Rolle als Exwaffenhändler Tony Stark. Und während die erste Hälfte des dreistündigen Brockens nun daraus besteht, dass das Ensemble aus sechzehn (!) HauptdarstellerInnen betreten herumsteht, löst die Abschiedstour von Robert Downey jr. als Iron Man zwischendurch tatsächlich so etwas wie emotionale Betroffenheit aus.

Dichtestress im Universum

Das Drehbuch aber ist so löchrig, dass man vermuten darf, dass es jeweils am Morgen des Drehtags auf Cocktailservietten gekritzelt wurde. Der letzte «Avengers»-Film hatte ja mit dem tatsächlich überraschenden Twist geendet, dass Thanos (Josh Brolin) mit einem Fingerschnippen die Hälfte aller Lebewesen im Universum verschwinden liess, weil er, wie er erklärte, den Dichtestress nicht mehr aushielt. So ist die Welt in «Endgame» nun einfach leer: Metropolen wie San Francisco existieren nur noch als verlassene Strassenzüge, in denen der Müll von vor fünf Jahren herumsteht, und der Einzige, der sich damit arrangiert hat, ist eben Tony Stark, der endlich Zeit hatte, eine Familie zu gründen, und mit dieser in einer Holzhütte am See lebt.

Da diese Situation zu verfahren ist, um sie wieder aufzulösen, bedienen sich die Autoren des unkreativsten Twists der Comicgeschichte: Zeitreisen. Wobei sie gegen das wichtigste Gesetz der Comics verstossen: die innere Konsistenz. Nachdem uns eine Stunde lang erklärt wird, dass die aktuelle Zeitlinie gar nicht verändert werden kann, wartet der Schluss dann doch damit auf, dass sich Captain America (Chris Evans) in der Vergangenheit ein neues Leben macht. Ein Lapsus, über den sich die beiden Regisseure offenbar nicht mal mit den Drehbuchautoren einig sind.

Das Böse wegschnippen

Und wo wir bei mangelnder Kreativität sind: Wer glaubte, dass der aufwendigste Actionfilm der Geschichte (Produktionsbudget: 365 Millionen Dollar) wenigstens bei der monumentalen Endschlacht überzeugen würde, wird enttäuscht: Nachdem die HeldInnen es geschafft haben, die verschwundene Hälfte des Universums wiederzubeleben (darunter ein weiteres Dutzend ehemalige HauptdarstellerInnen, die den Personalreigen noch unübersichtlicher machen), wird eine zufällige Abfolge von unzusammenhängenden Einzelszenen zum gefakten One Shot zusammengefügt – sämtliche Figuren der 22 Filme sind mindestens ein paar Sekunden zu sehen, oder zumindest muss man davon ausgehen. Wirklich zu sehen ist ohnehin nichts, da das Ganze dunkler gefilmt ist als eine Folge von «Game of Thrones».

Als der Bösewicht zum Höhepunkt dann endlich besiegt darniederliegt, ist dies nicht das Resultat eines cleveren Plans, sondern schierer Zufall: Tony Stark benutzt den Handschuh mit den Gotteskräften, um Thanos und all seine Truppen mit einem Fingerschnippen zu Staub zerfallen zu lassen. Ein solcher Massenmord an diesem Weltraumdespoten und seinen Soldaten mag ein gewisses Gerechtigkeitsgefühl befriedigen, aber er lässt die Frage offen: Worin unterscheiden sich die Helden von den Bösen, wenn die einen mit Allmacht genau gleich umgehen wie die anderen? In der dem Film zugrunde liegenden Comicvorlage «Infinity War» schmettert einer der Helden dem zentralen Bösewicht entgegen: «Slag is the height of your creativity» (Schlacke ist der Höhepunkt deiner Vorstellungskraft). Er hat damit auch diesen Film vorweggenommen.

Dieser mediokre Schlusspunkt der «Avengers»-Serie lässt für die Zukunft nichts Gutes erahnen. Mitte der neunziger Jahre, als Marvel Comics auf dem Höhepunkt ihres kommerziellen Erfolgs waren, opferte der Verlag Kreativität für Masse: Statt in Lektorat und Redaktion zu investieren, spuckte er dutzendweise Hefte mit Schreibfehlern und unfertigen Zeichnungen aus, in der Folge ging der Verlag 1997 beinahe Konkurs. Man darf um des Mediums willen hoffen, dass Marvel daraus gelernt hat.

«Avengers: Endgame» ist derzeit in über hundert Kinosälen der Deutschschweiz zu sehen.

Avengers: Endgame. Joe Russo und Anthony Russo. USA 2019