G20 in Hamburg: Willkommen in der Hölle!
Während die Behörden Hamburg in eine Festung verwandeln, organisiert sich der Widerstand: 100 000 DemonstrantInnen werden erwartet.
Hamburg rüstet auf. Auf den G20-Gipfel bereitet sich die Hamburger Polizei seit eineinhalb Jahren vor – es wird ihr bisher grösster Einsatz sein. Wenn sich am 7. und 8. Juli die zwanzig mächtigsten PolitikerInnen der Welt treffen, gilt die höchste Sicherheitsstufe. Ein Teil der Innenstadt wird dann kurzerhand zum Sperrgebiet erklärt.
Die Behörden rechnen mit 100 000 GegendemonstrantInnen. Auch Alexis Passadakis, der in einer Projektgruppe von Attac gegen den Gipfel mobilisiert, glaubt, dass die Proteste gegen diesen G20-Gipfel grösser werden könnten als in der Vergangenheit: «Hamburg verfügt über eine gut vernetzte globalisierungskritische und autonome Szene.» Zudem grenze das alternative Schanzenviertel – das bereits 2013 während der Proteste um das Kulturzentrum Rote Flora zum Gefahrengebiet erklärt wurde – direkt an die «rote Zone». Dieses Jahr würden besonders polarisierende ProtagonistInnen teilnehmen, sagt Passadakis: Es kommen die «klassischen Neoliberalen» wie Emmanuel Macron aus Frankreich und Gastgeberin Angela Merkel, «die aber immer autoritärer werden, rigide Austeritätsgesetze verabschieden, Ausnahmezustände verhängen und umstrittene Arbeitsgesetze durchboxen». Es kommen «die National-Neoliberalen» wie der US-Präsident Donald Trump und die Brexit-Verfechterin Theresa May. Und schliesslich die «Diktatoren», so Passadakis, der dabei den türkischen Machthaber Recep Tayyip Erdogan, dessen russischen Kollegen Wladimir Putin und den saudischen König Salman ibn Abd al-Asis erwähnt.
Grund genug für zahlreiche Gruppen, Proteste zu organisieren. Bislang wurden 27 Veranstaltungen und Demonstrationen angemeldet. Für die Grossdemonstration am Samstag wird besonders breit mobilisiert – von der Partei Die Linke über kurdische Gruppen und AlevitInnen, von der Friedensbewegung und Attac bis hin zu linksautonomen Gruppen wie der Interventionistischen Linken.
Bereits am Mittwoch starten die Proteste mit dem zweitätigen Gegengipfel «Für globale Solidarität»: Dort finden Veranstaltungen zum Freihandelsabkommen TTIP, zu Queerfeminismus, zum Klimawandel, zur Asylpolitik, zu Kunst, Utopien und solidarischer Ökonomie statt. Zudem gibt es Trainings, in denen Blockadeaktionen geprobt werden. «Lieber tanz ich als G20» heisst eine Nachttanzdemo für die hedonistischere Fraktion. Das Bündnis «Ums Ganze» will den Hamburger Hafen lahmlegen. Die «Jugend gegen G20» ruft zum Bildungsstreik auf. Wieder andere wollen unter dem Slogan «Color the Red Zone» mit «dem mutigen und rebellischen Geist der Vielen das Spektakel der Mächtigen blockieren». Auf der Fahrraddemo wird gegen den G20-Gipfel in die Pedale getreten. Und «Welcome to Hell» heisst die antikapitalistische Demonstration, willkommen in der Hölle. Das werde «einer der grössten Schwarzen Blöcke, die es je gegeben hat», kündigten die AktivistInnen an. Der deutsche Verfassungsschutz erwartet 10 000 Militante am G20.
Die Polizei will jedoch Demonstrationen auf 38 Quadratkilometern der Innenstadt komplett verbieten – eine Fläche so gross wie die Stadt St. Gallen. Rund 20 000 PolizistInnen sind im Einsatz, auch aus den Niederlanden, Österreich und Dänemark. Boote, Helikopter, Nachtsichtgeräte, Hunde, Pferde, ein neuer Panzerwagen und Wasserwerfer der neusten Generation gehören zum Arsenal der Polizei. Seit Tagen schon hat Deutschland das Schengen-Abkommen faktisch ausser Kraft gesetzt und kontrolliert die Grenzen.
Eine Aussage des Hamburger Innensenators Andy Grote (SPD) kann geradezu als Drohung gegen GipfelstürmerInnen interpretiert werden. Er meinte, die Polizei schütze – indem sie bestimmte Strassenabschnitte freihalte – auch die DemonstrantInnen, denn «sollte es zu einer erfolgreichen Blockade kommen, würden sich die Teilnehmer beim Aufeinandertreffen mit der Kolonne in Gefahr bringen». Mit «Kolonne» sind die Limousinen von Trump oder Erdogan gemeint, die von als unberechenbar geltenden Sicherheitskräften bewacht werden. Worauf Grote allerdings genau anspielt, ist unklar. Die-Linke-Fraktionschefin Cansu Özdemir entgegnete jedenfalls: «Auf Protestierende, auf Menschen, die zivilen Ungehorsam ausüben, darf unter keinen Umständen geschossen werden.»
Besser geschützt werden sollen die PolizistInnen. Dazu hat der Bundestag im April eigens ein Gesetz angepasst: Schon wer einen Beamten oder eine Beamtin schubst, muss nun mit drei Monaten Gefängnis rechnen. Mindestens. Das G20-Gefängnis öffnet am Donnerstag. Diese für den Gipfel errichtete «Sammelstelle» soll Platz für 400 Festgenommene bieten. «Platz» bedeutet in diesem Fall allerdings, dass sich Gefangene unter Umständen eine Neun-Quadratmeter-Zelle mit fünf anderen teilen müssen.
Insbesondere die Gesetzesänderung sei eine «drastische» Massnahme und zeuge von einer «neuen Qualität der Repression», sagt Alexis Passadakis von Attac. Er kritisiert die Gewaltandrohungen gegenüber den Protestierenden: «Das beschneidet die Versammlungsfreiheit. Damit werden Bürgerrechte ausgehebelt.»