Hamburg: Ein Spuk aus uralten Tagen

Nr. 3 –

In Hamburg wehren sich Bewohner und Aktivistinnen gegen die Gentrifizierung ihrer Stadtteile. Über Neujahr sind die Auseinandersetzungen eskaliert, die Polizei erklärte einen Teil der Stadt eine Woche lang zum «Gefahrengebiet». Was geht da vor?

Kissenschlacht in der Gefahrenzone: Eine von vielen Aktionen gegen die Verletzung demokratischer Rechte in Hamburg. Foto: Rasande Tyskar

Die Stimmung kippte am späten Abend des 7. Januar während einer Sendung des Ersten Deutschen Fernsehens: In einem Bericht über die Proteste gegen das «Gefahrengebiet», zu dem die Polizei Teile des Bezirks Altona sowie den Stadtteil St. Pauli und das Schanzenviertel erklärt hatte, wurde auch ein siebensekündiger Clip eingespielt: Darauf ist zu sehen, wie zwei Polizisten in Kampfuniform einem Mann mit schwarzem Kapuzenpulli, der mit erhobenen Händen und dem Gesicht zur Wand steht, eine weisse Klobürste aus dem Hosenbund ziehen. Sie scheinen einen Moment zu zögern, als käme ihnen das Ding zu läppisch vor – aber dann beschlagnahmen sie die Bürste doch.

Der Clip verbreitete sich danach in den sozialen Netzen rasant. Schon am nächsten Morgen tauchten die ersten Spottgrafiken auf: der FC-St.-Pauli-Totenkopf mit Bürsten statt Knochen, Meister Yoda aus «Star Wars» mit Klobürste. Während der Protestspaziergänge gegen die Polizeimassnahme sah man weisse Klobürsten an allen Ecken und Enden – in den Drogeriemärkten der zum Gefahrengebiet erklärten Hamburger Szeneviertel waren sie komplett ausverkauft. Die allgegenwärtigen Polizeikontrollen wurden zur spielerischen Herausforderung. Protestierende verabredeten sich zum «Danger Zone Real Life Game», bei dem man Punkte sammeln und die Beamten mit Paragrafenkenntnis in Schach halten konnte. Auf der Reeperbahn trafen sich rund 600 Menschen zur kollektiven Kissenschlacht und riefen: «Klo-, Klo-, Klobürsteneinsatz!» Transparente hingen aus den Fenstern: «Wir wollen Blauhelme!» oder «Make Love not Danger Zone!».

Zombies in der Stadt

Es ging darum, einen Spuk zu vertreiben, der Hamburg in den Wochen des Jahreswechsels fest im Griff zu haben schien. Die Untoten waren auferstanden: Plötzlich war da wieder der martialisch-hochgerüstete Polizeiapparat, wie er zwischen 2001 und 2003 während der Amtszeit des rechtspopulistischen Innensenators Ronald Schill Hamburgs Strassen belagerte. Auch die Springer-Presse mit «Bild» und «Hamburger Abendblatt» war wieder ganz die Alte, die den «Chaoten» einen «Krieg auf Hamburgs Strassen» anlastete. Und auch der Schwarze Block war zurück, dessen Aufmärsche auf den städtischen Demos über die Jahre zu einem etwas flauen Ritual geworden waren.

Anlass für diesen Rollback war eine vorweihnachtliche Demonstration, zu der AktivistInnen des seit 1989 besetzten linksautonomen Kulturzentrums Rote Flora im Hamburger Schanzenviertel bundesweit mobilisiert hatten. Protestiert wurde gegen die Gentrifizierung Hamburgs, also gegen den Umbau der Stadt im Interesse der Wohlhabenden. So wurden kürzlich etwa die BewohnerInnen der sogenannten Esso-Häuser auf St. Pauli unter unwürdigen Umständen aus ihren Häusern vertrieben. Auf der Demo ging es jedoch auch um die Unterstützung der Flüchtlinge der sogenannte Lampedusa-Gruppe, die seit letztem Sommer in Hamburg um ein Bleiberecht kämpfen. Im Mittelpunkt stand an diesem Tag allerdings das Ansinnen der Flora-Aktiven, deutlich zu machen, «dass mit massivem Widerstand zu rechnen ist, sollte versucht werden, die Rote Flora zu räumen».

Imagefaktor Rote Flora

Doch ist die Rote Flora wirklich bedroht? Die Situation im Schnelldurchlauf: Der private Eigentümer Klausmartin Kretschmer, der das besetzte Kulturzentrum 2001 zum Spottpreis von 370 000 D-Mark (189 000 Euro) von der Stadt kaufen konnte, drängt seit zwei Jahren darauf, seine Problemimmobilie lukrativ zu entwickeln. Dabei hilft ihm der Immobilienmanager und Anwalt Gert Baer, der mit allen rechtlichen Mitteln die Räumung des Gebäudes in Premiumlage durchsetzen will.

Interessanterweise finden die beiden in Hamburg dafür aber keinen politischen Rückhalt. Angesicht der Gentrifizierung und Kommerzialisierung der inneren Stadtteile hat das 1989 besetzte ehemalige Konzerthaus einen eigentümlich positiven Symbolcharakter bekommen: Über die Szene- und Parteigrenzen hinweg scheint man sich einig zu sein, dass ohne die schmutziggelbe Flora das umliegende Schanzenviertel endgültig zur gesichtslosen Party-, Fress- und Shoppingmeile mit überteuerten Altbauwohnungen verkommt. Das linksautonome Zentrum ist zum positiven Imagefaktor geworden, das der kommerziellen Verödung der Metropole Hamburg trotzt. Selbst rechtskonservative Politiker offenbaren klammheimliche Freude über die Renitenz der Flora-BesetzerInnen. «Wer das kaufen will, muss Stress mögen», erklärte der CDU-Kommunalpolitiker Uwe Szczesny, als die Verkaufsabsichten von Kretschmer öffentlich wurden. Die Rote Flora malte den Spruch auf ein Transparent und hängte es über dem Portal auf – ein durchaus ironischer Umgang damit, dass der immer wieder beschworene Status als «Stachel im Fleisch der Herrschenden» angesichts von deren Sympathiebekundungen inzwischen etwas Putziges hat.

Eskalation an der Demo

Diese Ironie ging allerdings dem organisiert aufmarschierenden Schwarzen Block an der Spitze der vorweihnachtlichen Grossdemonstration ziemlich ab. Auch dem Einsatzleiter der Polizei – bezeichnenderweise ein Mann, der in der Schill-Ära aufgestiegen war – war es offensichtlich bitterernst. Anscheinend wollte er Rache nehmen für die Steine, die am Vorabend Fensterscheiben und Polizeiautos des Polizeipostens Davidwache auf St. Pauli getroffen hatten. Und so kam es zu Strassenschlachten, wie man sie aus den achtziger Jahren kannte. «Bullen» gegen «Chaoten», wie einst. Der OrganisatorInnen der Kundgebung sprachen danach von 500 verletzten DemonstrantInnen, die Polizei konterte mit der Zahl von 120 verletzten Beamten.

So richtig finster wurde die Stimmung aber, nachdem die Polizeipressestelle einen angeblichen zweiten Angriff auf die Davidwache am 28. Dezember vermeldete, bei dem «vermummte Personen» einem Polizisten durch eine Steinattacke aus nächster Nähe den Kiefer gebrochen hätten. Hamburgs Lokalmedien und PolitikerInnen schlossen die Reihen. Eine angeblich neue Militanz der Linken mit ihrer «Gewalt gegen die Polizei» wurde pathetisch zur Bedrohungslage erklärt, vor der sich die Stadt zu schützen habe. Dass die zweite Attacke tatsächlich so stattgefunden hat und vor allem, dass sie ein «Angriff Linksradikaler» gewesen ist, wie etwa das «Abendblatt» schrieb, ist inzwischen mehr als fraglich. Hamburgs Innensenator musste einräumen, es könne auch «die Einzeltat eines alkoholisierten Kiezbesuchers» gewesen sein.

Spätestens hier hätte es Hamburgs sozialdemokratischem Bürgermeister Olaf Scholz dämmern müssen, dass die Polizei – die in der Hansestadt ein notorisches Eigenleben führt – seinen Senat der Lächerlichkeit preisgibt. Doch das geschah nicht. Stattdessen erklärten alle – vom Polizeipressesprecher über den Innensenator bis zum Bürgermeister – mit säuerlichem Ernst, die Gefahrengebietsmassnahme vom 6. Januar (vgl. «Ausnahmezustand» im Anschluss an diesen Text) sei der Lage angemessen. Eine ganze Woche hielten sie das durch.

Erst am 13. Januar erklärte die Polizei dann die endgültige Aufhebung der inzwischen zu «Gefahreninseln» geschrumpften Sonderrechtszonen. Die Begründung: «Potenzielle Störer» hätten erkannt werden können, und dadurch sei «die Ausübung schwerer Straftaten weitgehend unterbunden» worden. Eine Realsatire – die allerdings in der Sache nicht lustig ist. Immerhin waren rund 80 000 Menschen eine Woche lang einer ordnungspolitischen Willkür ausgesetzt, die in der Bundesrepublik ihresgleichen sucht. So wurde ihnen der Zugang zu ihren Wohnungen verwehrt, wenn sie aus Polizeisicht zu den «relevanten Personengruppen» gehörten. Fast tausend Menschen mussten sich Personenkontrollen und Leibesvisitationen unterziehen, über sechzig wurden in Gewahrsam genommen.

Dass man kurz den Eindruck hatte, die HamburgerInnen hätten das alles mit Humor genommen, ist wohl einzig der Klobürstenspassguerilla zu verdanken.

Ausnahmezustand

Das Hamburger «Gesetz zur Erhöhung der Sicherheit und Ordnung» aus dem Jahr 2005 gibt der Polizei die Möglichkeit, ein sogenanntes Gefahrengebiet auszurufen, in dem sie Personen ohne Anlass anhalten, deren Identität feststellen und «mitgeführte Sachen in Augenschein nehmen» darf.

Die Praxis der letzten Jahre zeigt, dass die Ausrufung von Gefahrengebieten über einzelne Stadtviertel inzwischen eine etablierte Massnahme ist. Die Verhängung eines stadtteilübergreifenen Gefahrengebiets, wie sie am 6. Januar geschah, war allerdings ein Novum.

Weder der Bürgermeister noch der Innensenator müssen die Massnahme genehmigen. De facto ist die Polizei mit dem Gesetz in der Lage, nach eigenem Ermessen einen Ausnahmezustand zu verhängen, der BürgerInnenrechte ausser Kraft setzt.