«The Beguiled»: Halb tot im Mädchenpensionat

Nr. 26 –

Blondinen bevorzugt: Sofia Coppola erweist sich mit ihrem Südstaatenfilm «The Beguiled» einmal mehr als Meisterin des narkoleptischen Kinos – aber von der Sklaverei will sie lieber nichts wissen.

Der Spuk des ungestillten Begehrens: Nicole Kidman als Internatsleiterin Miss Martha Farnsworth in «The Beguiled». Still: Universal

«The slaves left.» So lapidar klingt das im neuen Film von Sofia Coppola, wenn die Autorin mal eben ein Problem loswerden will, das ihr nicht ins Konzept passt. Sklaverei? Klar, hat es mal gegeben, aber das ist vorbei, die sind jetzt alle weg. Wohin sie gegangen sind? Egal. Hauptsache, sie kommen der Geschichte nicht mehr in die Quere.

Sofia Coppola dreht also einen Film im historischen Kleid, angesiedelt im dritten Jahr des Sezessionskriegs und mit einem verwundeten Yankee im Feindesland, der als Patient in einem abgeschiedenen Mädchenpensionat in Virginia landet – aber die Sklaverei, an der sich dieser Krieg ja massgeblich entzündet hatte, wischt sie mit einem einzigen kurzen Satz einfach beiseite.

Dabei sind die SklavInnen nicht einfach so «gegangen», wie das eines der Mädchen in «The Beguiled» ausdrückt. In der gleichnamigen Romanvorlage von Thomas Cullinan wie auch in der ersten Verfilmung von 1971 war da jeweils noch eine Sklavin im herrschaftlichen Frauenhaus – alt und mütterlich im Roman, jung und sehr resolut dann im Film von Don Siegel. Coppola hat diese Figur aus der Geschichte entfernt. Sie habe sich eben, pflegt sie auf entsprechende Fragen zu antworten, auf den Geschlechteraspekt konzentrieren wollen. Na schön, aber schon mal was von Intersektionalität gehört?

Kidman kriegt Wallungen

Dabei ist es ganz interessant, was Sofia Coppola sonst mit diesem Stoff anstellt. Der Geschlechteraspekt also. Bei Siegel war es noch Clint Eastwood, der halb tot im Mädchenpensionat aufgenommen wird, und die subjektive Kamera macht dort früh klar: Umgeben von lauter schönen jungen Frauen in diesem riesigen Haus ohne Männer kommt es dem Colonel vor, als sei er in einem Paradies auf Erden gelandet (oder was sich so ein Kerl halt darunter vorstellt). Schon in der ersten Szene drückt er der Zwölfjährigen, die ihn beim Pilzesammeln im Wald entdeckt, einen Kuss auf den Mund («Du bist alt genug»), und in der Folge verläuft der Film wie eine auf links gedrehte Vergewaltigungsfantasie: Die Mädchen und Frauen erliegen diesem feindlichen Offizier, den sie hegen und pflegen und umgarnen, bis seine Manneskraft wiederhergestellt ist – und bestrafen ihn dann recht unzimperlich, als er davon Gebrauch machen will.

Sofia Coppola interessiert sich jetzt mehr für die Gemeinschaft dieser jungen Frauen, die sich mit ihren unterdrückten Sehnsüchten eine nach der anderen ins Krankenzimmer stehlen. Die gestrenge Schulleiterin, Miss Martha Farnsworth (Nicole Kidman), gerät schon in Wallungen, als sie den wunden Körper des bewusstlosen Patienten (Colin Farrell) wäscht, später gibt ihm Elle Fanning als blonder Vamp heimlich einen Gutenachtkuss. Der Colonel wiederum, bald zum manipulativen Schmeichler genesen, macht der verhärmten Lehrerin (Kirsten Dunst), die auf dem besten Weg zur alten Jungfer ist, Hoffnungen auf eine Heirat.

Was aber bei Don Siegel noch gespickt war mit faustdicken Schlüpfrigkeiten, ist hier auf erlesene Zurückhaltung getrimmt: ein Softporno ohne Porno. Alles ist in jene eigentümlich narkoleptische Atmosphäre getaucht, die Sofia Coppola seit «The Virgin Suicides» (1999) fast in jedem ihrer Filme immer neu ausreizt. Überhaupt wirkt vieles an «The Beguiled» wie ein spätes Echo auf Coppolas traumwandlerischen Erstling: sehr blonde junge Frauen, die in einem fast surreal hermetischen Milieu aufwachsen, geschützt vor den verderblichen Einflüssen der Welt draussen. Damals waren es die Jungs in der Schule, jetzt ist es der Bürgerkrieg, den sie sich in Gestalt des Colonels ins Haus holen.

Nähen, waschen, sägen, nähen

Kameramann Philippe Le Sourd taucht die Räume in ein schummriges Licht, oft wie durch Gaze. Dieser Frauentempel in «The Beguiled» erscheint wie ein Spukschloss, mit Nicole Kidman in der Rolle der ominösen Schlossherrin wie einst in «The Others» – aber Gespenster gehen hier keine um. Was spukt, sind ungestilltes Begehren und kleine oder grössere Eifersüchteleien. In den grausigeren Momenten ist «The Beguiled» aber auch ein Film über Hausarbeit, wobei Kidman dem Colonel deren praktischen Nutzen sehr zupackend vorführt: nähen, waschen, sägen, wieder nähen.

Und der Krieg? Von Anfang an hört man aus der Ferne das leise Grollen einer Schlacht, einmal sieht man eine Rauchsäule bedrohlich nah über den Bäumen aufsteigen. Und die Nebelschwaden, die sich zu Beginn so schön gespenstisch im Louisianamoos verfangen, das von den Ästen hängt: Könnte es sich dabei nicht auch um Pulverdampf handeln? Dass der Bürgerkrieg in diesem Film bloss eine ferne Ahnung bleibt, muss man Sofia Coppola nicht vorwerfen. Der Frau, die schon ihre «Marie Antoinette» (2006) zu einem bitter überzuckerten Pop-Mädchentraum ausstaffiert hat, sollte man gewiss nicht mit historischer Pedanterie kommen, wenn sie den Stoff zu einem Schauermärchen in der Tradition des Southern Gothic verdichtet.

Aber Märchenwald hin oder her: Wenn Sofia Coppola die alte Verfilmung mit Clint Eastwood mit einem weiblichen Blick überschreiben wollte, wieso musste sie auch das Personal arisieren? Das Wort dafür heisst: Whitewashing.

Ab 29. Juni 2017 im Kino.

The Beguiled. Regie und Drehbuch: Sofia Coppola. USA 2017