Revolution: «Wir können alle unsere eigene Blockchain programmieren»

Nr. 27 –

Der Internetsicherheitsexperte Guido Rudolphi sieht die Blockchain-Technologie als Chance, die Herrschaft über die eigenen Daten zurückzuerlangen und die Welt demokratischer zu machen.

Guido Rudolphi

WOZ: Guido Rudolphi, teilen Sie die Euphorie über das revolutionäre Potenzial der Blockchain-Technologie?
Guido Rudolphi: Jein. Zurzeit ist «Blockchain» vor allem ein Modewort. Wenn ich sehe, wie mir Leute aus dem Bankwesen und dem Finanzsektor die Idee der Blockchain verkaufen wollen, dann schaudert mich vor der marketingmässigen Reduktion des Potenzials auf eine simple Datenbank. Dabei sollte man die Blockchain-Technologie vielmehr mit der Erfindung des Buchdrucks vergleichen – und die zog tatsächlich Revolutionen nach sich und führte letztlich zu einer Demokratisierung des Wissens.

Und was bedeutet Demokratisierung übertragen auf die Blockchain-Technologie?
Wir haben heute mit der Blockchain-Technologie zum ersten Mal die Möglichkeit, eine wirklich anarchische Situation zu schaffen.

Anarchisch – wie meinen Sie das?
Sehen Sie, die Blockchain funktioniert im Prinzip wie das Dark Web. Anders, als viele Leute denken, ist das Dark Web im Kern nämlich ein Programm, das geschaffen wurde, um Demokratie zu ermöglichen, Demokratie im Sinn von Zugang zu Daten – damit man dort, wo Zensur herrscht, Zugriff auf Zahlen und Fakten erhält. Die Blockchain ermöglicht es, Informationen dezentral zu verbreiten, ihnen einen Wert zu geben und so ein globales System zu schaffen, in dem auch Wissen endlich demokratisiert wird. Es gibt kein Herrschaftswissen mehr! Denn die Daten kommen wieder zurück zu uns, und wir können selber über sie bestimmen.

Was genau ist daran anarchisch?
Wir können alle unsere eigene Blockchain programmieren, uns zum Beispiel eine eigene digitale ID schaffen. Wenn hingegen der Staat eine digitale ID einführt und kontrolliert, haben wir bereits verloren. Der Staat ist weder willens noch fähig, die Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger zu schützen. Warum gehen nur immer alle davon aus, dass wir in einem wohlwollenden Staat leben? Unser Staat sammelt heute mehr Daten von seinen Bürgerinnen und Bürgern, als es die Stasi in der DDR gemacht hat. Nehmen Sie nur das Büpf (Bundesgesetz betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs, Anm. d. Red.). Damit nimmt sich der Staat das Recht heraus, künftig ein Handy hacken zu dürfen. Das ist absurd – legales Hacking gibt es nicht! Wer ein Handy hackt, begeht einen kriminellen Akt. Punkt. Denn der Staat kann mein Handy nur hacken, indem er zu Kriminellen geht, um bei ihnen Informationen über Schwachstellen in meinem Handysystem einzukaufen.

Und wenn wir unsere Daten in einer Blockchain verwalten, hat der Staat keinen Zugriff mehr?
Genau! Die Blockchain-Technologie ermöglicht es, Kontrolle radikal zu dezentralisieren und dem Volk zu übergeben. Mit der Blockchain erhalten wir Linken heute zum ersten Mal seit Jahren und wahrscheinlich für lange Zeit zum letzten Mal die Möglichkeit, innerhalb von basisdemokratischen Strukturen und aus einem anarchischen Geist heraus eine Technologie mitzuformen. Wir dürfen das auf keinen Fall verschlafen, wie wir es im Fall der Computer getan haben.

Was hat denn die Linke da verschlafen?
Die Linken waren die Ersten, die Flugblätter für ihren Kampf eingesetzt haben. Sie waren die Ersten, die Piratenradio machten, die Ersten, die Audiokassettchen nutzten, um ihre Botschaften zu verbreiten. Doch als es um Computer ging, waren die Linken die Ersten, die – entschuldigen Sie den Ausdruck – den Kopf in den Arsch gesteckt haben. Man betrachtete Computer als Herrschaftstechnologie und nahm ihnen gegenüber eine totale Abwehrhaltung ein. Hinzu kommt, dass innert weniger Jahrzehnte ein totaler Paradigmenwechsel bezüglich Daten stattgefunden hat. Nehmen Sie das Beispiel der Volkszählung 1980. Damals fragte der Staat uns Dinge, die bei vielen auf Empörung stiessen, weil sie bis in unsere Intimsphäre vordrangen. «Was geht es den Staat an, womit wir täglich zur Arbeit fahren?», fragten sich viele und schrieben einfach «mit dem Seilbähnli». Sogar normalerweise apolitischen Menschen war damals klar, dass Daten einen Wert haben. Heute sagen alle: «Ich habe nichts zu verstecken.»

Die meisten Menschen sind damit überfordert, ihre Daten einigermassen zu schützen. Weshalb sollte eine neue Technologie wie die Blockchain ihre Probleme auf einen Schlag lösen?
Nun, es fängt alles damit an, dass man anerkennt, wie Daten wertvoll sind. Meiner Meinung nach wird die Blockchain-Technologie dazu führen, dass sich sowohl eine digitale Elite wie auch eine analoge Elite herausbilden werden. Zur digitalen Elite zählen all jene, die wissen, wie sie im Notfall ein System umgehen, manipulieren oder hacken können.

Und wer gehört zur analogen Elite?
Zum Beispiel die Hausbesetzerszene: Dort gibt es viele Leute, die bewusst vermeiden wollen, eine digitale Schleimspur zu hinterlassen, und sich entsprechend in der analogen Welt so vernetzen, dass sie sich digitalfrei bewegen können. Hier bildet sich eine analoge Elite aus. Und wenn diese Elite mit der digitalen Elite zusammenzuarbeiten beginnt, dann wirds richtig lustig – darauf freu ich mich schon! Denn mit der Blockchain haben sie die Möglichkeit, eine wirklich anarchische Situation zu schaffen.

Glauben Sie im Ernst, dass es zwei kleinen radikalen Gruppen gelingen wird, dank der Blockchain den Staat auszuhebeln? Dazu müssten sich doch viel mehr Menschen erst einmal die notwendigen digitalen Techniken wie Programmieren aneignen …
Wieso? Mithilfe von Algorithmen kann man komplexe Dinge ganz einfach digitalisieren und bedienerfreundlich machen. Sie müssen dann nur noch ein Programm herunterladen und anwenden.

Und warum sollte ich diesem Programm oder dem Algorithmus, der dahintersteht, vertrauen?
Grundsätzlich gibt es keine absolute Sicherheit in der Computertechnologie. Bei der Blockchain-Technologie hingegen muss ich sagen: Da gibt es keine Sicherheitsbedenken mehr. Zum ersten Mal ist der Mensch die grösste Schwachstelle. Das ist eine Zäsur. Vorher ging es immer nur um Schwachstellen im Programm.

Mit andern Worten: Sie vertrauen lieber einem Algorithmus als einem Menschen?
Also wenn ich die Wahl habe, politische Entscheidungsprozesse entweder an korrupte Politiker zu delegieren oder an einen Algorithmus, der so wertfrei wie möglich entscheidet, dann ist mir der Algorithmus lieber. Einen Algorithmus kann man verbessern. Auch Ethik lässt sich mathematisch fassen und in Algorithmen auslagern. Die Blockchain-Technologie stellt grundsätzlich Fragen an Formen der Demokratie. Heute wählen wir alle paar Jahre irgendwelche Leute und hoffen, dass die dann in unserem Sinn handeln werden. Das ist eine sehr bequeme Form der Demokratie. Eigentlich ist es ein politischer Ablasshandel. Stattdessen könnte man auch tatsächlich Verantwortung übernehmen. Und das heisst: die Konsequenz daraus, dass man für einen gewissen Algorithmus gestimmt hat, permanent kontrollieren und überprüfen, ob er auch tatsächlich das macht, was ich will. Sobald das nicht mehr der Fall ist, kann man ihm die Unterstützung entziehen. Das wäre meiner Meinung nach eine wirklich konsequente, dauerhafte Demokratie.

Guido Rudolphi (55) ist Datenforensiker, jagt als Cybercop Kriminelle und hat als Auftragshacker auch schon firmeninterne Sicherheitssysteme ausgebootet.