Finanzindustrie und Klima: «Das sind nur Babyschritte»

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Der Druck auf die Finanzindustrie, endlich damit aufzuhören, klimaschädigende Unternehmen zu finanzieren und zu versichern, ist in den letzten zwei Jahren stark gestiegen. 2021 könnte entscheidend werden.

Dass Kohle keine Zukunft hat, wissen auch die Versicherungen: Schaufelradbagger der RWE im Kohletagebau in Garzweiler, Nordrhein-Westfalen. Foto: Robert Oberhäuser, Alamy

«Ich habe schon mehrere Jahrzehnte Kampagnenerfahrung auf dem Buckel, aber einen so raschen Fortschritt wie bei den Versicherungen haben wir noch kaum je gesehen. Der grösste Teil der Versicherungskonzerne wird nächstes Jahr keine neuen Kohleprojekte mehr versichern.» Peter Bosshard wirkt im Zoom-Gespräch aufgeräumt. Seit vielen Jahren führt der Schweizer von Kalifornien aus Klimakampagnen für internationale NGOs. Er hat sich zuletzt auf globale Versicherungskonzerne wie die Swiss Re und Zurich spezialisiert, die er zusammen mit MitstreiterInnen unter Druck setzt.

Das Ziel ist gut gewählt: Kohle gilt als klimaschädlichster der fossilen Brennstoffe. Und die Versicherungen sind eine Achillesferse der fossilen Industrie: Ohne sie sind Milliardeninvestitionen in neue Kohleminen und -kraftwerke zu riskant. Ausserdem wissen Versicherungskonzerne sehr genau Bescheid über die Klimakatastrophe – es gehört schliesslich zu ihrem Kerngeschäft, Gefahren richtig einzuschätzen. Und sie haben ihren guten Ruf gegenüber der Öffentlichkeit und den eigenen MitarbeiterInnen zu verteidigen.

Doch Bosshard geht es längst nicht nur um neue Kohleprojekte. Er kämpft auch dafür, dass die Versicherer aus dem Geschäft mit Kohleminen und -kraftwerken aussteigen. Und sie sollen ebenso aufhören, neue Öl- und Gasprojekte zu versichern. Zumindest bei der Kohle sieht es gut aus: Kohle wird gegenüber anderen Energieträgern generell immer unwirtschaftlicher, die Umweltauflagen werden in vielen Ländern erhöht. Und da immer mehr Versicherungen dem Geschäft den Rücken kehren, steigen auch die Versicherungsprämien, laut Bosshard letztes Jahr um bis zu 40 Prozent: «Das ist ein massiver Kostenfaktor für eine Branche, die eh schon ums Überleben kämpft.»

Alles wird gut?

Es ist nicht nur die schrumpfende Kohleindustrie, die mit Blick auf den Kampf gegen die Klimakatastrophe etwas Hoffnung macht. Auch politisch läuft es derzeit etwas besser. So wird ab dem 20. Januar der Demokrat Joe Biden im Weissen Haus regieren und anders als sein Vorgänger Donald Trump die Klimaveränderung nicht weiter negieren. Seine Chefberaterin in Sachen Klima wird Gina McCarthy sein, die Leiterin der Umweltbehörde EPA unter Barack Obama und jetzige Chefin der Umweltorganisation Natural Resources Defense Council. Sie ist der Überzeugung, dass jedes Departement in der neuen Verwaltung Klimamassnahmen und nachhaltige Energie in den Mittelpunkt seiner Politik stellen muss, wie sie unlängst twitterte. Biden hatte im Wahlkampf versprochen, zwei Billionen US-Dollar in ein ökologisches Umbauprogramm zu investieren.

Auch in der EU ist Bewegung: Am Gipfeltreffen Ende Jahr wurde beschlossen, den Treibhausgasausstoss bis 2030 um 55 Prozent gegenüber 1990 zu senken. Das ist zwar immer noch weniger, als Umweltverbände fordern, aber dennoch ein Schritt vorwärts. Und auch China, der grösste CO₂-Emittent, gab Ende 2020 bekannt, weitere Anstrengungen für den Klimaschutz zu unternehmen.

Allerdings: Geredet und angekündigt wurde schon viel. Letztlich geht es um Taten, und zwar jetzt. «Die Politik hat bisher ganz klar versagt», sagt Bosshard. Deshalb gebe es überhaupt solche Kampagnen wie die gegen die Versicherungen. «Sie sind ein Resultat davon, dass wir uns auf den politischen Prozess nicht verlassen können.» Das bestätigt auch Asti Roesle, Campaignerin bei Greenpeace: «Entscheidend ist, was in den nächsten zehn Jahren läuft. Über 2050 müssen wir gar nicht erst reden.» Denn dann seien die heutigen EntscheidungsträgerInnen längst weg vom Fenster. Für Roesle ist das Bekenntnis der EU, bis 2030 den Treibhausgasausstoss um netto 55 Prozent zu senken, deshalb ein Fortschritt, aber bei weitem nicht ambitiös genug. «Was heisst netto? Bei so einer Ankündigung sind die Schlupflöcher bereits programmiert.» So könnten weiterhin harte Einschnitte bei den fossilen Energieträgern umgangen und stattdessen, etwa durch Anrechnung von Waldsenken und Aufforstungen, die Zahlen geschönt werden.

Neue Minen im grossen Stil

Auch ein neuer wissenschaftlicher Bericht im Auftrag des Uno-Umweltprogramms verbreitet Skepsis: So plane die internationale Staatengemeinschaft, bis 2030 mehr als doppelt so viele fossile Brennstoffe zu produzieren, wie es mit dem Ziel von 1,5 Grad maximaler Erderwärmung zu vereinbaren wäre. Ausserdem befürchten die AutorInnen, dass nach dem Ende der Coronapandemie wirtschaftliche Ankurbelungsprogramme den fossilen Treibhausgasausstoss zusätzlich anheizen werden. So hätten die G20-Staaten bis November 2020 rund 233 Milliarden US-Dollar gesprochen, um die Produktion und den Konsum von fossilen Brennstoffen zu unterstützen. Das ist weit mehr als die im gleichen Zeitraum gesprochenen 146 Milliarden für Energieeffizienz, erneuerbare Energien und die Förderung des Velo- und Fussgängerverkehrs.

Eine aktuelle Studie der NGOs Rainforest Action Network und Urgewalt zeigt konkret, wo im grossen Stil neue Öl-, Gas- und Kohleprojekte entstehen. Die AutorInnen haben weltweit zwölf besonders aktive Entwicklungszonen ausgemacht; neben einschlägig bekannten Gebieten zum Beispiel in Texas und vor der Küste Norwegens sind das etwa Moçambique, wo riesige Erdgasvorkommen abgebaut werden sollen, Surinam mit grossen Offshore-Erdölfeldern oder auch die Ausbaupläne Chinas und Bangladeschs in Sachen Kohlekraftwerke sowie die Indiens bezüglich Kohleminen. Die 133 Firmen, die die Projekte in diesen Zonen vorantreiben (zu den grössten zählen Exxon, BP und Total), wurden in den letzten vier Jahren von Banken mit total 1,6 Billionen US-Dollar an Krediten versorgt. Dazu kommen unterstützende Aktien- und Obligationenkäufe von Investmentfonds im Umfang von 1,1 Billionen.

Wenig überraschend tauchen unter den zwanzig grössten Geldgebern auch die Schweizer Grossbanken Credit Suisse und UBS auf: die Credit Suisse direkt mit Krediten im Umfang von 22,5 Milliarden, die UBS indirekt mit 11,8 Milliarden über ihr Vermögensverwaltungsgeschäft, mit dem sie für ihre KundInnen Obligationen und Aktien der beteiligten Unternehmen kauft.

Die Banken sind schon lange im Fokus von Klimakampagnen. Wie die Versicherungen sind sie eine Achillesferse der fossilen Industrie. Denn ohne Kapital keine neuen Projekte. Rund zwei Dutzend globale Finanzinstitute, die auch als Investmentbanken agieren, spielen bei der Finanzierung der fossilen Industrie eine Schlüsselrolle. So auch Credit Suisse und UBS. Sie verfügen über das nötige Know-how, um auch komplexe Finanztransaktionen abwickeln zu können und den grossen Energiekonzernen so Milliarden zu beschaffen.

In den letzten zwei Jahren haben sich die Protestaktionen vor den Filialen der einschlägigen Bankhäuser gehäuft. Banken haben entsprechend reagiert. Doch mit einem lahmen Bekenntnis zu netto null bis 2050 lassen sich die AktivistInnen nicht abspeisen. Laut einem aktuellen Rating des Rainforest Action Network ist derzeit die französische Bank Crédit Agricole bei den Klimamassnahmen führend, gefolgt von der Royal Bank of Scotland. Während die UBS im oberen Mittelfeld rangiert, liegt die Credit Suisse markant tiefer. Laut neusten Ankündigungen will sie diesen Rückstand allerdings jetzt aufholen.

Auch die UBS gibt an, weiter vorwärtszumachen. Das Asset Management, also die Vermögensverwaltung der Bank, die Kundengelder in Höhe von 980 Milliarden US-Dollar verwaltet, gehörte Ende 2020 zu den Mitgründern der Net Zero Asset Managers Initiative. Diese Branchenvereinigung verpflichtet sich, über das 2050er-Ziel hinaus bis 2030 zur CO₂-Reduktion von 50 Prozent beizutragen und etwa auf Aktionärsversammlungen verstärkt auf eine Dekarbonisierung hinzuwirken. Wie genau die UBS ihren Ausstieg aus dem fossilen Geschäft plant, will sie aber nicht verraten. Fragen zu einem konkreten Fahrplan bleiben unbeantwortet, stattdessen gib es ein wolkiges Statement, in dem es heisst, man wolle «die Kundinnen und Kunden bei der Erreichung ihrer Dekarbonisierungsziele unterstützen» und «klimabewusstes Investieren» fördern. Asti Roesle sagt, sie höre aus der Finanzindustrie, dass sehr viel in Bewegung sei. «Aber was wir sehen, sind immer noch Babyschritte.»

Kapital in Hülle und Fülle

Generell ist die Vermögensverwaltung ein schwieriges Ziel von Klimakampagnen. Hier gibt es eine unüberschaubar grosse Zahl von Anbietern; allein Pensionskassen verwalten weltweit rund fünfzig Billionen US-Dollar, die irgendwo angelegt werden müssen. Und da die Zinsen von sicheren Staatsobligationen im Keller sind, setzen die KassenwartInnen vermehrt auf Fonds, die einigermassen sichere Renditen versprechen.

Der weltweit grösste Vermögensverwalter ist Blackrock mit 7,8 Billionen US-Dollar Kundengeldern. Blackrock ist bei vielen grossen Aktiengesellschaften der grösste Aktionär und hätte somit viel Einfluss auf die Geschäftspolitik. Doch den übt die Firma nicht im Sinne des Klimaschutzes aus, wie eine Studie der NGO Share Action zeigt. Nur in elf Prozent der Fälle hat Blackrock bei Generalversammlungen für klimafreundliche Resolutionen gestimmt. Der Finanzriese steht damit fast zuunterst auf der Rangliste aller untersuchten Vermögensverwalter – auch das Asset Management der Credit Suisse gehört mit 22 Prozent zur Schlussgruppe.

Blackrock hat auf die Kritik reagiert und im Dezember bekannt gegeben, dass der Konzern künftig mehr Klimaresolutionen zustimmen werde. Man habe bislang den Firmen vertraut, dass sie das Klimathema ernst nähmen, sagt Geschäftsleitungsmitglied Sandy Boss der «Financial Times».

Peter Bosshard sagt, Blackrock habe lange behauptet, «sie hätten keine Verantwortung, da sie bloss Geld für andere verwalteten». Doch seit zwei Jahren stünden sie vermehrt unter Druck: «Jetzt stehen streikende Schüler und Leute von Extinction Rebellion vor ihren Büros. Das wirkt.» Bosshard kennt interne Mails von Blackrock, die zeigen würden, dass Angestellte wegen der Proteste und Schlagzeilen frustriert seien.

Für Bosshard gibt es keine «Allheilmittel», mit dem die Zivilgesellschaft die fossile Industrie zurückdrängen kann. «Es braucht gegen all die verschiedenen Akteure Kampagnen.» Das Beispiel Blackrock zeige, dass selbst Riesen zu bewegen seien: «Der Druck auf die Geldgeber ist längst keine symbolische Gutfühlaktion mehr. Es macht es für die fossilen Firmen massiv teurer, Kapital aufzunehmen.» Nötig sei weiterhin die ganze Palette an Protesten, vom Druck auf der Strasse über Gerichtsklagen bis zum Druck auf jene, die sich etwa von der fossilen Industrie sponsern lassen. Auch die Verwaltungsräte der zentralen Unternehmen seien persönlich zur Verantwortung zu ziehen, so Bosshard: «Wir müssen sie öffentlich als Klimakriminelle blossstellen.»

Banken in der Deckung

Welche Klimapolitik verfolgen Schweizer Finanzinstitute? Das wollten AktivistInnen des Klimastreiks wissen und stellten 84 Banken und Versicherungen drei Fragen dazu. Doch mit der Transparenz ist es nicht weit her. Knapp die Hälfte reagierte überhaupt, nur 23 Fragebögen wurden ganz ausgefüllt. Im «Abschlusszeugnis» der KlimastreikaktivistInnen gab es denn auch für viele eine ungenügende Note. Zu netto null bis 2030 bekannten sich lediglich 8 Institute, 9 zu netto null bis 2050.

Was die Transparenz angeht, so will die Finanzmarktaufsicht künftig gewisse Offenlegungspflichten bei Klimarisiken einführen. Eine Anhörung dazu findet derzeit statt. Allerdings soll den Banken und Versicherungen weiterhin freigestellt bleiben, was genau sie veröffentlichen wollen.