Von oben herab: Es ist egal, aber
Stefan Gärtner muss Schweizer Popexport hören
Hab ich das nicht selbst zur stehenden Rede gemacht, wie froh ich bin, nie auszulernen? Und bin ich also nicht vollauf selbst schuld, wenn mir jetzt etwas zu einem Schweizer Popexport namens Faber einfallen muss?
Mir fällt zu Faber aber nichts ein, jedenfalls viel weniger als dem deutschen Popfeuilleton, das den 24-Jährigen als Gegenentwurf zu Gefühlsmännlichkeitspoppern wie Tim Bendzko oder dem sogar noch grösseren Esel Schweighöfer feiert, weil Faber nämlich ausdrücklich vom Ficken singt und sein Enttäuschtsein in Zeilen packt wie: «Warum, du Nutte, träumst du nicht von mir?» Es überlegen nun viele, ob das nun Sexismus sei, was davon echt und was Show ist und wie da nun die Codierungen gehen. Die «Süddeutsche»: «Es ist wirklich verzwickt. Dieses Publikum, diese Menschen hier: das ist Radio, Normalfrequenz, kleinster gemeinsamer Nenner, Weg des geringsten Widerstands. Das ist Schweighöferbendzkogiesingerpoisel. Und da oben steht dieser Faber, der optisch und vom Habitus einer dieser wuscheligen Jungs sein könnte. Aber wenn er den Mund zum Singen aufmacht, poltern und rumpeln da diese Sätze raus. Und die Frauen jubeln. Was Faber natürlich nicht per se von allen Sexismus-Vorwürfen freispricht. Es ist kompliziert. Man kriegt die Brücken zwischen dem Menschen und der Figur, zwischen der Musik und ihren Fans einfach nicht geschlagen.»
Geht ja alles immer so durcheinander heutzutage, wobei die einfachste Erklärung wäre, dass nichts im Ernst mehr was bedeutet und sich gerade im Pop alles in endlosen Schleifen aus Ironie und Referenz verliert. Trotzdem habe ich als alter Sack, dessen Dylan Bernd Begemann ist, den Verdacht, dass «Warum, du Nutte, träumst du nicht von mir?» einfach eine schlechte Zeile ist, Pseudopoesie aus dem Effektbaukasten, und wenn junge Frauen, die sich selbst «Mädels» nennen, jubeln, weil gut aussehende Kerle sie als Nutten besingen, ist die Gegenwart auf eine Art bei sich, dass es selbst Popmusik nicht guttun kann.
«Faber singt ein Lied, in dem das lyrische Ich eine Frau für Sex bezahlt und noch ein Glas anbietet, ‹wenn du mich unter dein Kleid schauen lässt›. Dabei formt er mit seinen Händen ein kleines Herzchen für sein Publikum» («SZ»). Weil nämlich beides, das mit dem Herz und dem Ficken, kulturindustriell derart durch ist, dass es vielleicht mal wieder an der Zeit wäre, dass jemand ernsthaft davon singt, statt sich darauf zu verlassen, dass es egal sei. «Das ist sehr wohl ein Teil des Appeals, den Faber ausspielt: Mit ihm und seiner Band kann man vieles, was an der Rockmusik abgeschmackt und ein bisschen peinlich war, auch mal wieder ‹einfach geil› finden» («Tages-Anzeiger»). Falls einen das bei Oasis nicht schon gelangweilt hat.
In Manns / Adornos «Doktor Faustus» lässt sich an dem Punkt, an dem in der klassischen Musik alles gesagt ist, Unmittelbarkeit und Nichtkitsch allein noch durch die «totale Konstruktion» der Zwölftonwelt erreichen. Die Ironie – wiederum – wäre, dass Pop da längst schon ist: «Es gibt keine freie Note mehr» (op. cit.). Darum muss Faber bei «Spiegel Online» auch als «der verkorkste kleine Bruder von Stephan Eicher» figurieren. Bzw. darf, denn als alter Eicherianer möcht ich doch sagen, dass das der Ehre einigermassen zu viel ist.
Falls mich, der laut DJ Ruedi (Widmer) die Smiths mal liebte wie niemand sonst, das überhaupt noch öppis angeht.
Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.